Kalte Stille - Kalte Stille
dieses
Mädchen in Plötzlich Prinzessin «, sagte Annabelle. »Kennen Sie den Film?«
»Ich glaube nicht«, meinte Jan.
»Ein Mädchen, das von heute auf morgen in ein Schloss zieht«, sagte sie und betupfte mit der Serviette einen Preiselbeerfleck auf ihrem Pullover. »Nur dass sich vor dem Schloss nicht lauter Geisteskranke getummelt haben.«
»Annabelle, bitte«, sagte Hannah Fleischer mit vornehmer Entrüstung. »Sie müssen ihr das nachsehen, Doktor Forstner, Annabelle hatte noch nie viel für den Beruf ihres Vaters übrig.«
»Deshalb habe ich auch einen Biologen geheiratet«, sagte Annabelle und erhob sich. Sie ging um den Tisch und umarmte ihren Vater. »Aber das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass mein Paps der beste von allen ist, versteht sich.«
Sie drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange und ging dann in die Küche.
»Da sehen Sie es, Jan«, sagte Fleischer und sah voller Stolz seiner schwangeren Tochter nach. »Ich bin immer noch ein umschwärmter Mann.« Er rückte seine große schwarze Brille zurecht, und wieder musste Jan denken, dass Dr. Raimund Fleischer entschieden etwas von Gregory Peck hatte.
»Haben Sie Familie, Jan?«, fragte Frau Fleischer.
»Nein, ich bin«, Jan hüstelte, »geschieden.«
»Oh, das tut mir leid. Haben Sie Kinder?«
»Nein.«
Hannah Fleischer nickte und schien zu verstehen. Dann zeigte sie auf die Platte mit dem Fleisch. »Möchten Sie noch etwas von dem Rehrücken, Jan?«
»Nein danke, ich bin pappsatt.«
Jan spürte die Röte auf seinen Wangen. Ihm gefielen diese Gespräche nicht, die sich um Ehe und Kinder drehten. Er kam sich dabei stets so vor, als stünde ihm seine Verlustangst auf die Stirn geschrieben - der Grund für seine Kinderlosigkeit. Immerhin hatte es nie an seinen Partnerinnen gelegen.
»Ein dickes Kompliment an die Köchin«, sagte er rasch und schenkte der Gastgeberin ein Lächeln. »Es war köstlich.«
»Das freut mich. Raimund hat guten Kontakt zu einem Jäger aus der Gegend. Herrn … Wie heißt er doch gleich?«
»Hesse«, sagte Fleischer. »Hermann Hesse, genau wie der Schriftsteller. Sein Sohn ist ein Kollege hier am Ort. Allgemeinmediziner. Netter Kerl, sehr fähig.«
»Ja«, stimmte Jan zu. »Ich hatte bereits mit ihm zu tun.«
Fleischer war erstaunt. »Ach ja? Na, die Welt ist klein. Aber wegen dem Reh - eigentlich haben wir es Norbert Rauh zu verdanken. Er hat den sehr viel engeren Kontakt zum alten Hesse. Die kennen sich schon aus Zeiten, als Norbert noch ein Dreikäsehoch war. Tja, und seit Norbert wieder hier ist, haben wir immer ein gutes Stück Kössinger Wild in der Kühltruhe.«
»Kössingen«, wiederholte Jan. Das Wort versetzte ihm einen Stich. Er sah die einsame Waldstraße vor sich. Schnee. Einen gelben VW Passat an einem Baum …
Er bemerkte den Blick seiner Gastgeber und lächelte verlegen.
»Tja«, Hannah Fleischer erhob sich und stellte die Teller zusammen, »dann werde ich mal zu Annabelle in die Küche schauen. Wollen die Herren einen Kaffee oder etwas Süßes?«
»Kaffee wäre großartig«, sagte Jan, und Fleischer fügte hinzu: »Den trinken wir in meinem Arbeitszimmer. Das müssen Sie gesehen haben, Junge. Dagegen ist mein Büro in der Verwaltung die reinste Telefonzelle.«
»Beeindruckend«, entfuhr es Jan, als sie Raimund Fleischers Arbeitszimmer betraten. Es war kein Zimmer, sondern ein Saal, in dem man leicht einen Ball hätte veranstalten können.
»Noch beeindruckender sind unsere Heizkosten«, lachte Fleischer. »Wenn wir dieses Haus tatsächlich eines Tages in eine Station umbauen, werden wir einen schönen Batzen Geld in die Wärmedämmung investieren müssen.«
Als Hannah Fleischer ihnen den Kaffee gebracht hatte, nahmen die beiden Männer in einer kleinen Sitzecke neben einem voluminösen Bücherschrank Platz.
»Sie haben vorhin an Ihren Vater gedacht, als ich Kössingen erwähnt habe, nicht wahr?« Fleischer schaufelte zwei Löffel Zucker in seine Tasse, nahm sie hoch und begann bedächtig umzurühren.
Jan nickte. »Was glauben Sie, wohin er damals unterwegs gewesen sein könnte?«
»Ich weiß es beim besten Willen nicht.« Der Professor nippte an seinem Kaffee und stellte die Tasse auf dem kleinen Beistelltisch ab. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, und das Leder knarrte leise unter seinem Gewicht. »Hören Sie, Jan, ich will ehrlich sein. Ich mache mir Sorgen um Sie.«
»Sorgen?« Jan sah ihn überrascht an. »Um mich?«
»Ja. Ich habe gestern mit Norbert
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