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Kalte Stille - Kalte Stille

Titel: Kalte Stille - Kalte Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wulf Dorn
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ihm durch den Kopf. Das darf nicht sein!
    Doch als die Tür sich vollends öffnete, bestätigte sich Jans Befürchtung.
    Raimund Fleischer hielt in der einen Hand einen Kanister aus dem Generatorraum, mit der anderen wischte er sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Die Pistole steckte in seinem Hosenbund.

    Der Professor wich der blutigen Schleifspur am Boden aus, stellte den Kanister neben Rauhs Leiche ab und rückte sich die Brille zurecht. Er schien Jan gar nicht wahrzunehmen, sondern betrachtete den Toten. Dabei sah er aus, als prüfe er den Blechschaden an seinem Auto nach einem Auffahrunfall oder eine Fensterscheibe, die durch einen Kinderball zu Bruch gegangen war.
    »Hätte nicht geglaubt, dass diese Dinger so etwas anrichten können«, murmelte er und zog die Pistole aus dem Hosenbund. Nachdenklich wog er die Waffe in der Hand, dann sah er auf Jan herab. »Hättest du das gedacht?«
    Jan hatte den Eindruck, sich in einem seiner Alpträume zu befinden. Ein Teil von ihm hoffte inständig, er würde jeden Moment daraus erwachen.
    »Die habe ich hier vor Jahren gefunden«, erklärte Fleischer. Zu Jans Entsetzen wirkte er ruhig und gelassen wie immer, so als wären sie sich gerade auf dem Klinikgelände begegnet. »Eine Walther P38. Muss einem Offizier gehört haben. War schön ordentlich in Wachspapier eingewickelt. Eigentlich hatte ich gedacht, dass das alte Ding gar nicht mehr funktioniert. Und jetzt sieh dir das an.« Er deutete mit der Pistole auf Rauh. »Dass er so aussieht, habe ich nicht gewollt. Wo er doch so ein Kopfmensch war. So sagt man doch, oder? Kopfmensch .«
    Fleischer seufzte abermals, dann ging er zu einem Kistenstapel, neben dem Rauhs übrige Kleidungsstücke lagen. »Möchtest du seinen Pullover als Sitzunterlage? Der Boden ist doch eiskalt.«
    Fassungslos starrte Jan den Professor an. Er brachte kein Wort hervor.
    »Wirklich nicht? Du holst dir noch eine Nierenbeckenentzündung.«

    »Warum … warum haben Sie das getan?« Jans Stimme war ein heiseres Flüstern. »Er war Ihr Freund.«
    »Ja, das war er.« Fleischer zog ein T-Shirt unter dem Pullover hervor, wischte damit über eine der Kisten und setzte sich darauf. »Weißt du, Jan, wenn ich meine Vorlesungen halte, beginne ich gern mit einem einleitenden Zitat. Ich glaube, hier würden die Worte des alten Nietzsche recht gut passen: Die Historie gehört dem Lebendigen in dreierlei Hinsicht. Als dem Tätigen und Strebenden, als dem Bewahrenden und Verehrenden und als dem Leidenden und der Befreiung Bedürftigen.«
    Jan schluckte und versuchte, seiner Panik Herr zu werden. Jetzt war professionelles Denken gefragt, keinesfalls durfte er seiner Angst gestatten, Macht über ihn zu erlangen. In der Vergangenheit hatte er schon vielen Psychopathen gegenübergesessen. Männern und Frauen, die getötet, gequält und vergewaltigt hatten. Menschen, die keinerlei Reue für ihre Taten gezeigt hatten, weil sie kein Unrechtsempfinden hatten oder weil sie ihre Tat verdrängten und anderen dafür die Schuld gaben. Jan hatte sie untersucht, Diagnosen erstellt und den Grad ihrer Gefährlichkeit für sie selbst und ihre Umwelt eingeschätzt. Der Umgang mit ihnen war Teil seiner beruflichen Routine gewesen. Und nichts anderes geschah jetzt, versuchte er sich klarzumachen. Auch wenn es einen entscheidenden Unterschied gab: Fleischer trug eine Waffe, er hatte sie bereits einmal eingesetzt, und er konnte es jederzeit wieder tun.
    Jan dachte fieberhaft nach. Es musste längst eine Stunde vergangen sein, seit er und Rauh losgefahren waren. Wenn er sich auf Konni verlassen konnte, dann verständigte er vielleicht in diesem Moment die Polizei. Man würde Rauhs Wagen auf dem Parkplatz entdecken und
das Waldstück nach ihnen absuchen. Wahrscheinlich hatte auch Fleischer dort geparkt. Alles, was Jan jetzt tun konnte, war, den Professor hinzuhalten und zu hoffen, dass sie genug Spuren hinterlassen hatten, um die Polizisten zur Bunkerluke zu führen.
    »Du sagst ja gar nichts, Jan.« Fleischer betrachtete ihn mit kalten Augen. »Grübelst du, wie du hier rauskommst? Da werde ich dich leider enttäuschen müssen. Dies hier ist Endstation. Für uns beide.«
    Jan atmete tief durch, verdrängte die Angst und stellte sich vor, er säße Fleischer in einem geschützten Raum gegenüber. Hinter ihm die Kamera und am Monitor im Nebenraum zwei Wachbeamte - bereit, sofort einzugreifen, falls Fleischer ihn mit mehr als nur Worten attackieren wollte. Vorsichtig schob er die Hand in

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