Kalte Stille - Kalte Stille
seine Jackentasche.
»Na, na, na!«, rief Fleischer und winkte mit der Pistole. »Ich will beide Hände sehen. Nimm sie wieder heraus.«
»Sie haben einen Menschen getötet, ist Ihnen das bewusst?«
»Ich sagte, du sollst mir deine Hände zeigen!«
Den Blick auf die Pistolenmündung gerichtet, gehorchte Jan. Er streckte Fleischer die Hände entgegen, dann stützte er sich wieder auf dem Boden ab.
»Um auf Nietzsche zurückzukommen«, sagte Fleischer und verfiel wieder in den Tonfall eines Mannes, der es gewohnt war, vor großem Publikum zu reden. »Du, lieber Jan, gehörst zur dritten Kategorie. Zu denen, die leiden und nach Befreiung suchen.«
»Ach ja?«
»Ich bitte dich, Junge«, Fleischer sah ihn tadelnd an. »Das solltest du eigentlich selbst am besten wissen.«
»Wie Sie meinen«, entgegnete Jan. »Ja, ich leide unter meiner Vergangenheit.«
»Und dieses Leiden hätte ich gern von dir genommen«, sagte Fleischer. »Du hättest nur die Hand ergreifen müssen, die ich dir gereicht habe. Ein Neuanfang hätte für dich die Befreiung sein können, du hättest es nur wollen müssen. Aber nein, du hast weiter und weiter und weiter gebohrt. Und jetzt sieh dir an, was du angerichtet hast.« Er zeigte auf Rauh. »Bringst ihn dazu, mich zu hintergehen. Mir ist keine andere Wahl geblieben, als auch ihn zum Schweigen zu bringen.«
»Rudolf Marenburg, Carla Weller … Die haben Sie auf dem Gewissen, nicht wahr?«
Fleischer nickte. »Hinzuzufügen sind noch Nathalie Köppler, Alexandra Marenburg und eine kleine, dumme Nutte. Gehen alle auf mein Konto.« Er legte die Pistole auf dem Schoß ab, packte Rauhs T-Shirt mit beiden Händen und riss es entzwei. »Schuldig im Sinne der Anklage.«
»Und … Sven?« Jans Stimme drohte zu versagen. Er riss sich zusammen. »Was ist mit Sven geschehen?«
Prüfend betrachtete Fleischer die beiden Stoffstreifen, dann ließ er einen davon zu Boden fallen. »Weißt du, Jan, Bernhard Forstner war keinen Deut besser als Marenburg oder diese neunmalkluge Journalistin. Solche Leute wühlen in anderer Leute Vergangenheit herum, und dann jammern sie, wenn man ihnen auf die Finger klopft.«
»Was haben Sie mit Sven gemacht?«
» Was haben Sie mit Sven gemacht «, äffte Fleischer ihn nach. »Herrgott nochmal, du benimmst dich wie eine Heulsuse, ist dir das eigentlich klar? Als ob es immer nur um deinen Bruder ginge. Bist du dir denn selbst so wenig wert?«
Jan ignorierte den aggressiven Tonfall. Verhalte dich
wie ein Pokerspieler, hatte ihm sein ehemaliger Ausbilder geraten. Lass dein Gegenüber niemals deine Gefühle ahnen. Halt die Karten bedeckt. Und daran hielt er sich auch jetzt, als er den Professor mit einem nüchternen Blick ansah.
»Wo ist Sven?«
»Ach, Jan.« Fleischer lächelte nachsichtig. »Du hast dir in der Vergangenheit eine Menge Fragen gestellt, aber wie es scheint, nie die richtigen. Hattest du nie das Gefühl, dass dein Vater sich dir gegenüber - wie soll ich sagen - immer etwas reserviert verhalten hat, während er deinen Bruder vergötterte? Und nachdem du Zeuge von Alexandras Tod gewesen warst, war es ihm nicht ganz gleichgültig, was du durchgemacht hast? Im Gegensatz zu deiner Mutter, die sich liebevoll um dich gesorgt hat.« Er beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Knie. »Hast du dich nie gefragt, weshalb ich dich nach Fahlenberg geholt habe? Wieso ausgerechnet ich dir eine zweite Chance geboten habe?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Nun komm schon, Jan. Die Antwort liegt doch auf der Hand. Bernhard Forstner war nicht dein Vater. Und er muss es immer geahnt haben.«
Jan schluckte. Er glaubte, ein gutes Gespür für Lüge und Wahrheit zu haben, aber nun hoffte er inständig, sich zu täuschen. »Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass …«
Fleischers Lächeln wurde breiter. »Wenn du in den Spiegel schaust, wer blickt dir dann entgegen? Bernhard? Nein, wohl kaum. In deiner Wesensart hast du viel Ähnlichkeit mit deiner Mutter, und auch sonst kommst du ganz nach ihr. Aber deine Augen sind den meinen nicht unähnlich, findest du nicht?«
»Das ist doch ausgemachter Blödsinn!«, fuhr Jan ihn an. »Meine Mutter hätte meinen Vater niemals betrogen.«
» Betrogen. Was für ein hässliches Wort.« Fleischer rümpfte die Nase und zeigte wie beiläufig auf Rauh. »Das mag auf ihn hier zutreffen, oder auf Marenburg und Bernhard, ja in gewisser Weise auch auf dich. Aber nicht auf deine Mutter. Wir haben niemanden betrogen.« Fleischer sah
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