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Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten

Titel: Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Toporski
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aber sie nimmt mir immerhin die Gabel aus der Hand.
    »Na, gib her!«
    Ich versuche es mit Melken und wenigstens das geht ein bisschen. Doch als ich mit der ersten Kuh fertig bin, muss ich schon wieder Pause machen. Ich kauere mich in eine Ecke und bleibe auch dort. Die Bäuerin ist irgendwann fertig mit Melken und verlässt den Stall.
    Ich sehne mich nach Mama! Noch nie, nicht einmal in der allerersten Zeit hier, als der Bauer mich schlug und ich den Jungen mit ihren Peitschen ausgeliefert war, nie habe ich mich so nach ihr gesehnt, habe ich ihre Obhut, die Geborgenheit bei ihr so vermisst. Nie habe ich mir so gewünscht, von ihr in die Arme genommen, von ihr getragen zu werden, den Kopf einfach an ihre Brust lehnen zu können. Ich bin, was ich lange nicht mehr war, wieder ein Kind, ein ziemlich kleines Kind.
    Noch immer sitze ich in meiner Ecke, die Augen mehr zu als auf. Nach einem Weilchen fühle ich mich etwas besser und stehe auf. Durch das kleine Stallfenster sehe ich, dass die Welt draußen weiß ist und dass es schneit. Aber egal, ich muss hier weg!
    Ich greife nach meinen Fußlappen. Es sind immer noch dieselben und sie sind dreckig und zerschlissen. Sorgsam wickele ich sie um meine Füße. Dann schlinge ich mir den Schal um den Hals, setze meine Mütze auf und knote sie unter dem Kinn zu. Alles andere habe ich sowieso immer an. Die Jacke knöpfe ich mir bis ganz oben zu.
    »Mach’s gut, Martha!«, sage ich und drücke meine Wange an ihren Hals.
    Der Wind pfeift mir entgegen, als ich die Tür öffne, und die Flocken stieben in den Stall. Ich schiebe mich hinaus, schlage den Kragen so hoch es geht und spähe nach dem Haus: Keiner zu sehen! Der Hund kennt mich längst und bleibt ruhig. Rasch schließe ich die Tür hinter mir und verschwinde um die Stallecke. Mühsam stapfe ich durch den Schnee. Nie ist mir das Gehen so schwer gefallen, nicht einmal auf der Flucht, als wir den Wagen aufgeben und zu Fuß weitergehen mussten, nicht einmal da habe ich so zu kämpfen gehabt wie jetzt. Schräg von der Seite bläst mir der Wind den Schnee ins Gesicht, und die eine Wange fühlt sich nach kurzem wie gefroren an. Die Hände habe ich tief in den Taschen vergraben, aber sie frieren trotzdem. Ab und zu drehe ich mich um und gehe ein Stückchen rückwärts, um die kalte Hälfte des Gesichts wieder etwas auftauen zu lassen, doch viel nützt das nicht. Der Wind hat Schneewehen aufgetürmt, hinter jedem Busch, hinter jedem Strauch muss ich sie durchpflügen. Kein Schritt gleicht dem vorherigen, jedes Mal fühlt es sich anders an unter den Füßen und nie kommen meine Beine in einen Rhythmus. So quäle ich mich voran. Nur die Kälte treibt mich vorwärts, sorgt dafür, dass ich mich nicht einfach fallen lasse, um am Straßenrand auszuschlafen.
    Ich habe kein Empfinden, wie lange ich schon gehe. Die Zeit scheint aufgehoben und es gibt nur noch dies: Schnee und Wind und Schritt, Schnee und Wind und Schritt. Es ist kein Vorwärtskommen, es ist ein Zustand. Nur die Apfelbäume an der Landstraße tauchen einer nach dem anderen wie gespenstische Landmarken auf, und wenn ich an einem vorbei bin, erscheint kaum sichtbar der nächste aus dem alles verhüllenden Weiß. Sie scheinen zu drohen: Wir hören nicht auf, wir sind unendlich viele, nie kommst du an dein Ziel! Der Weg nimmt kein Ende. Ob er einen Anfang hatte, weiß ich nicht mehr.
    Wo bin ich? Ist das der richtige Weg? Komme ich hier überhaupt nach Waly? – Ich stolpere mehr, als dass ich gehe. Dazu schlottere ich erbärmlich unter meiner dünnen Jacke. Mechanisch setze ich Fuß vor Fuß. Aber ich will jetzt keine Angst haben, ich will nicht daran denken, dass ich falsch gegangen sein kann! Weiter, nur weiter!
    Erst nehme ich den Schatten gar nicht wahr. Dann begreife ich: Ein Haus! Ein Haus mitten im Schneesturm! Auf einmal ist wieder Hoffnung in mir. Ich weiß jetzt, wo ich bin, weiß, wohin ich zu gehen habe, und auf einmal fühle ich wieder ein bisschen Kraft in mir und meine Schritte beschleunigen sich.
    Ich finde Mama auf dem Bauernhof bei der Arbeit.
    »Mein Gott, Kind!«, ruft sie und lässt fallen, was sie gerade in der Hand hat.
    Und dann geschieht genau das, wovon ich geträumt habe. Ich werde in die Arme genommen, werde hochgehoben, werde liebkost. Ich kann die Augen zumachen und mich darauf verlassen, dass jemand das Richtige für mich tut.
    Und dann werde ich ganz sanft in ein Bett gelegt, in ein richtiges Bett! Dass es das überhaupt gibt!
     
    Ich muss

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