Kalte Zeiten - Toporski, W: Kalte Zeiten
stehen, dann hätte ich die Kurbel besser im Griff und könnte stärker darauf drücken. Aber wie? Und dann habe ich’s: ein Hocker!
Ich hole mir einen aus der Abseite, stelle mich darauf und versuche es wieder. Und tatsächlich: Es funktioniert! Sausend und mit harschem Geräusch schneidet das Messer durch die Halme und fährt einmal ganz über die Schnittfläche. Aber mitten in meiner Freude ist schon wieder Schluss: Die Kurbel schlägt gegen meinen Bauch und der ganze Schwung ist dahin! Also den Hocker etwas weiter weg und noch einmal. Jetzt geht es: ratsch! Das Messer fährt durch Stroh und Heu, aber beim nächsten Schnitt sitzt es schon wieder fest. Vor Freude über den Erfolg habe ich versäumt, bei der nächsten Umdrehung für genug Schwung zu sorgen. Mist!
Nicht aufgeben! Kurbel zurück, Luft holen und neuen Anlauf: ratsch! Und dann gleich wieder Schwung: ratsch! Und wieder ratsch! – Jawohl, jetzt läuft’s!
Richtig stolz bin ich, als ich den Kühen den Häckselberg in die Futtertröge schaufele. Genüsslich auf die Forke gestützt, schaue ich ihnen beim Mampfen zu.
Jetzt, wo ich tagsüber nicht mehr auf die Weide gehe, bekomme ich auch andere Arbeiten aufgetragen. Ich helfe bei den Schweinen mit, füttere sie und miste auch da aus. Oft bekommen sie Rüben zu fressen, die schneide ich mit dem Schnitzelwerk, das so ähnlich wie die Häckselmaschine funktioniert, aber viel leichter zu bedienen ist. Die Rüben kommen oben in einen Trichter, werden vom Schnitzelwerk klein geschnitten und kommen unten wieder heraus. Das geht so ähnlich wie das Nüsseraspeln in der Küche und macht beinahe Spaß.
Oder ich muss Kartoffeln sortieren. Die großen kommen in den Kartoffelkeller und wandern entweder in die Küche oder werden verkauft. Von den kleinen dienen die mit vielen Augen als Saatkartoffeln für das nächste Jahr, die anderen werden im großen Dampftopf gegart und mit Haferschrot vermischt an die Schweine verfüttert.
Mir ist es nur recht, dass ich nun auch andere Aufgaben erledigen kann und nicht mehr ausschließlich für meine Kühe zu sorgen habe. Der Kuhstall ist zwar nach wie vor meine Heimat, in der ich arbeite, wohne und schlafe, und das Haus ist immer noch tabu für mich (und ich verspüre auch nicht das geringste Bedürfnis, ihm allzu nahe zu kommen). Aber die Abwechslung ist durch die neuen Arbeiten größer geworden, ob ich nun Schweine füttere, Eier auflese oder Obst pflücke. Obst pflücken hat für mich noch einen angenehmen Nebeneffekt, denn selbstverständlich wandert da so manches in meinen Mund. Natürlich vergewissere ich mich immer sehr sorgfältig, dass niemand zusehen kann. Wenn die Bäuerin im Nachbarbaum pflückt, stecke ich den Apfel oder was auch immer lieber erst unter die Jacke und esse ihn dann später in der Abgeschiedenheit meines Stalls. Und ich esse ihn ganz auf, bis auf den Stiel! Bei den Eiern habe ich auch erst überlegt, welche mitgehen zu lassen, aber dann hatte ich doch zu großen Widerwillen, die Dinger roh zu essen. Und außerdem: Wohin mit den verräterischen Schalen?
Sogar zum Schlachten haben sie mich neulich geholt, ich sollte dabei Blut rühren. Hinterher bekam ich sogar ein Stück Leberwurst und ich wunderte mich über die ungewohnte Großzügigkeit. Aber dann fand ich durch Zufall heraus, dass das Schwein an der Viehzählung vorbeigemogelt worden und das Stück Wurst sozusagen mein Schweigegeld war. Aber egal: Wurst bleibt Wurst!
Die Kraniche ziehen! Ich sehe sie hoch über mir und höre ihre rauen Schreie. Ach, mitfliegen können! Gar nicht mal weit, nicht bis nach Afrika oder wo immer sie hinfliegen. Nicht einmal nach Deutschland. Deutschland, das ist so weit, das ist so lange her, dass es für mich fast unwirklich geworden ist. Nein, nur hier weg, nur bis nach Waly, zu Mama, zu Huppe und Wolfi, das würde mir vollkommen reichen. Ich schaue den Vögeln nach, bis ich ihre Trompetenrufe nicht mehr höre und sie hinter Bäumen verschwinden.
Mit der Arbeit auf den Feldern sind die Bauern fertig. Die Ernte ist eingebracht, die Äcker sind bestellt und die Wintersaat ist ausgesät. Heute werden wir dreschen.
Die Dreschmaschine fährt von Hof zu Hof und verarbeitet das in den Scheunen gelagerte Getreide. Ein Ungetüm von Angst erregenden Ausmaßen kommt auf den Hof gefahren. Genau genommen sind es zwei Ungetüme, denn angetrieben wird der Koloss von einer Dampfmaschine, die gleichfalls heranrollt. Sie zischt und faucht, dampft und qualmt und es
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