Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
Vom Netzwerk:
Als Kind ist er mir immer etwas sonderbar vorgekommen. In unserem Lager unter dem Kirschbaum ist er gesessen, im Schneidersitz, und mit den Beinen hat er gewackelt. Gesprochen hat er kaum etwas. Irgendwann haben wir uns aus den Augen verloren.
    Bis zum Sommer 1935.
    Da habe ich ihn beim Baden wieder getroffen. Eigentlich war ich mit dem Erich zum Baden verabredet. Mit dem bin ich zu dieser Zeit auch gegangen, aber der hatte sich nicht um mich gekümmert. Spielte mit seinen Freunden Karten. Drüben bei den Bänken neben dem Kiosk. Und auf einmal ist er dagestanden, der Josef.
    »Grüß dich, kennst mich noch? Ich bin der Josef«, hat er zu mir gesagt. Weil ich in die Sonne hab schauen müs sen, hab ich ihn gar nicht erkannt. Erst beim näheren Hinsehen. Der Erich, der hatte sowieso keine Zeit für mich, und da habe ich mich halt den ganzen Nachmittag mit dem Josef unterhalten. Es war ganz nett, aber verliebt habe ich mich nicht in ihn. Er war halt da. Auf der Decke ist er neben mir gesessen. Erzählt hat er mir, dass er bei der Bahn als Rangierer arbeitet. Genau wie sein Vater. Schichtdienst. »Und was machst du?« Da habe ich ihm von meiner Schneiderlehre erzählt und dass ich den Beruf als Näherin eigentlich gar nicht mag, aber was soll man denn sonst machen. Als Verkäuferin beim Konsum oder als Kontoristin hätte ich besser im Rechnen sein müssen. So war halt nicht viel geblieben, was ich hätte tun können. Am Abend, da begleitete er mich noch mit seinem Fahrrad nach Hause. Ein altes Dixi-Fahrrad war es, mit Ballonreifen. Daran kann ich mich gut erinnern. Das Rad ist ihm später gestohlen worden, zumindest gesagt hat er mir das. Aber das war viel später. Bis vors Haus brachte er mich und als er sich mit mir für den nächsten Samstag verabredete, habe ich nicht nein gesagt. Da ist es dann auch passiert am Samstag. Wir sind raus ins Himmelreich, mit den Fahrrädern, und wie wir beide so im Gras gesessen sind, hat er mich geküsst. Nicht romantisch, eher grob. Aber es machte mir nichts aus. Und wie er dann mehr wollte, da habe ich auch diesmal nicht nein gesagt. So ist es halt dann eben passiert.
    Ich bin nicht sehr wählerisch in diesen Dingen. War es nie gewesen.  Dass er sich danach mehrere Wochen lang nicht bei mir hat blicken lassen, geärgert hat mich das schon. Aber trotzdem bin ich wieder mit ihm ins Bett gegangen, als er eines Tages plötzlich wieder da war.  Gefragt habe ich ihn: »Was hast denn die ganze Zeit gemacht?«
    »Hab halt viel arbeiten müssen«, war seine ganze Antwort. Mehr war nicht aus ihm herauszubekommen.
    Ich habe es auch dabei belassen, nicht weiter nachgefragt. So wichtig war mir das Ganze auch nicht gewesen. Wonach hätte ich auch fragen sollen?
    Im Herbst des gleichen Jahres merkte ich, dass ich schwanger war.  Gehofft hatte ich, er würde sich jetzt mehr um mich kümmern, zu mir halten. Aber dem war nicht so. Im Gegenteil. Er änderte seine Gewohnheiten nicht, kam, wann immer er wollte. Vernachlässigte mich und später auch das Kind. Kaum dass er es je anschaute. Geschweige denn mit ihm sprach oder spielte. Als eines Tages die Unterhaltszahlungen ganz ausblieben, da habe ich mich an den Vormund beim Jugendamt gewandt. Meine Eltern haben mir zugeredet, dass ich das machen sollte. Der Vormund, der hat daraufhin den Lohn pfänden lassen. Ich brauchte doch das Geld, wusste nicht ein noch aus. Der Josef war darüber ganz und gar aufgebracht und verärgert gewesen. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich richtig Angst vor ihm. In meinem Zimmer, zu Hause bei den Eltern, ist er auf dem Bett gesessen, wie ich von der Arbeit nach Hause kam. Bereits auf mich gewartet hatte er. Völlig außer sich. Bedroht und beschimpft hat er mich.
    »Ich weiß ja gar nicht, ob ich der richtige Vater bin. Das Kind, das kannst du mir auch untergeschoben haben.«
    Ich bin dagestanden und hab nur noch geweint. Wäre nicht mein Vater ins Zimmer gekommen und hätte dieser den Josef nicht aus der Wohnung geworfen, ich hätte nicht gewusst, was ich hätte tun sollen.  Danach war es dann ganz aus. Der Vater meinte noch: »Wir kriegen das Kind schon groß.« Ein paar Wochen habe  ich nichts mehr vom Josef gesehen oder gehört. Nicht blicken hat er sich lassen. Wie ich gemerkt habe, dass ich wieder schwanger war, da war ich es, die zu ihm hingegangen ist. Ich wusste mir einfach keinen anderen Rat.
    Am 31.12.1937 haben wir geheiratet. Geschneit hat es den ganzen Tag. Warum ich ihn geheiratet habe, ich

Weitere Kostenlose Bücher