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Kalter Amok

Titel: Kalter Amok Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David L. Lindsay
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versehen, und es roch dumpf. Das Haus war jetzt seit über einem Jahr unbewohnt. Detective West und sein Partner empfingen Haydon an der Tür. Sie standen ruhig da, als Haydon durch den Wohnraum auf die Frau zuging. Judith Croft saß auf der Kante von einem der Sofas und rauchte eine Zigarette. Ihr schwarzes Haar rahmte das Gesicht so sorgfältig ein wie damals, als er sie zum erstenmal gesehen hatte – und noch immer war der Kontrast zu ihren blauen Augen, dem blassen Teint und dem tiefen Orange ihrer Lippen bemerkenswert.
    Sie sahen sich einen Augenblick lang an, dann drehte sich Haydon um und ging hinüber zu dem Körper, der vor der Wurlitzer-Musikbox lag. West nahm den Bezug weg, den sie von einem Sessel genommen und über den Toten geworfen hatten. Rafaels Gesicht war nicht mehr da. Etwas sehr Wirkungsvolles hatte es vom Haaransatz bis zum Kinn abrasiert.
    »Eine kleine Handfeuerwaffe, mit der man nur eine einzige Kugel vom Kaliber.41 abfeuern kann«, erklärte West etwas umständlich. Er hielt sie Haydon hin. Haydon warf nur einen kurzen Blick auf die Waffe in der Hand des Kriminalbeamten, dann ging er zur Croft hinüber.
    »Ist Ihnen nichts passiert?« fragte er und schaute zu ihr hinunter.
    Sie schüttelte den Kopf und blies eine Rauchwolke von sich.
    Haydon setzte sich ans andere Ende des kurzen Sofas und zündete sich ebenfalls eine Zigarette an – das Ritual.
    »Was ist geschehen?«
    Sie stieß einen seltsamen Seufzer aus.
    »Ich war die einzige in dieser – dieser traurigen Kollektion von Frauen, die nicht mit ihm geschlafen hatte. Ich wollte einfach nicht. Heute abend habe ich ihn angerufen. Sagte ihm, wir könnten doch einmal zusammenkommen und dieses schreckliche letzte Jahr für diesen einen Abend vergessen. Es hat ihm schwer zugesetzt, auch wenn er es sich nicht hat anmerken lassen. Er war reif für etwas Mitleid. Als er hierherkam, bin ich auf ihn zugegangen und hab’ ihm den Lauf unter das Kinn gedrückt.« Sie räusperte sich.
    »Wo haben Sie diese Waffe her?«
    »Paulo hat sie mir vor langer Zeit gegeben. Zu meiner Sicherheit. Es war absurd, eine solche Waffe zu besitzen.«
    Haydon konnte nicht umhin – er schaute hinauf zum Plafond. Dort oben klebten Fleischfetzen, an denen noch Haare hingen.
    »Und warum?«
    »Ich habe doch gemerkt, worauf es hinauslief«, sagte sie. »Er hätte nie und nimmer das bekommen, was er verdiente. Ich habe gehört, daß Massey ihn für nicht zurechnungsfähig erklären lassen wollte. Dieser Mann war das Böse in Person. Es war nicht gerecht, ihn damit zu entschuldigen, daß er verrückt ist.«
    Sie hatte die Hände züchtig auf dem Schoß gefaltet und schaute hinüber zu Rafaels Leichnam unter dem Tuch.
    »Ich weiß, wie das aus meinem Mund klingt, aber… Es ist eine Frage der Moral. Ich wollte nicht, daß sie hinweggefegt wird in einer Flut juristischer Spitzfindigkeiten.«
    Haydon schaute sie an. Sie war makellos gekleidet. Er konnte ihr Parfüm riechen: Bal à Versailles. Er erinnerte sich an den schlanken Körper, den er unter dem teerosenfarbenen Morgenmantel gesehen hatte, an dem sonnigen Vormittag, als er sie zum erstenmal besucht hatte.
    »Und jetzt, glauben Sie, hat er bekommen, was er verdiente?«
    »Ich habe genau gewußt, was ich tat«, sagte sie.
    »Warum haben Sie mich rufen lassen?«
    Sie schaute ihn an. Zwei kleine Tränen bildeten sich in den inneren Winkeln ihrer beiden Augen. Sie liefen nicht herunter, sondern blieben dort, rund und bewegungslos wie Diamanten.
    »Ich möchte, daß Sie mich verhaften. Mit Ihnen hat es begonnen, und ich wollte, daß es auch mit Ihnen endet.«
    Dazu konnte er nichts sagen. Er nickte nur.
    Danach sprach keiner von ihnen ein Wort. Haydon wußte, daß er sie festnehmen und ins Präsidium fahren mußte, aber er rührte sich nicht. Er spürte Wests Neugier. Auch das war ihm egal.
    Judith Croft beugte sich nach vorn und drückte ihre Zigarette in einem Aschenbecher auf dem Beistelltisch aus. Der Saum ihres Crepe-de-chine-Kleids rutschte ihr übers Knie. Sie starrte vor sich auf den Boden.
    »Haben Sie gewußt, daß Sally meine Mutter war?«
    Die Frage hing in der stickigen Luft zwischen den gespenstischen Staubbezügen und Rafaels Leichnam, wie ein verschwendeter Gedanke, der nach einer Existenzgrundlage suchte. Haydon empfand großes Mitleid mit Judith Croft.
    »Nein«, sagte er.
    »Es war alles in einem versiegelten Brief, den sie ihrem Testament beigefügt hatte. Ich war ihre erste Schwangerschaft. Statt abtreiben

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