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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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gehört, als dieser Mensch an der Hüttentür gewesen wäre.
    Er drehte sich zur Seite, fasste nach dem Stein, den er immer da liegen hatte, fühlte ihn einen Moment lang kalt und schwer in der Hand, und das gab ihm Sicherheit und beruhigte ihn so weit, dass er in einen unruhigen Schlaf fallen konnte.
    Selbst im Schlaf würde er noch alles hören, was er hören musste. Alles!
    * * *
     
    Es war ein Traum, der immer wiederkam. Ein fürchterlicher, quälender und furchterregender Traum. Und er kam nicht nur immer wieder, er beherrschte auch immer häufiger seinen Schlaf.
    Dann sah er sich auf dem Deich spazieren gehen, linker Hand das Wasser, das bei stürmischer Flut nah an den Weg herangetrieben wurde. Der Wind peitschte ihm das Wasser wie aus einer fein eingestellten Duschdüse ins Gesicht – nur dass es nicht warm war und nicht zart daherkam, sondern sich spitz wie Nadeln anfühlte. Immer stärker blies der Sturm, und die Wolken draußen über der See kündeten ein schweres Unwetter an.
    Er musste weg von hier. Binnen Minuten konnte ein Inferno losbrechen, und dann würde auf dem Deich Lebensgefahr herrschen.
    Weg, nur weg!
    Er beschleunigte die Schritte, stieg zur Deichkrone, vorbei an einer Herde angstvoll blökender Schafe, die sich in einem Kreis dicht an dicht drängten. Er hatte das Gefühl, vom steigenden Meeresspiegel verfolgt zu werden, begann zu rennen, doch er kam nur langsam von der Stelle: als müsste er bei jedem Schritt den Fuß von Magneten lösen. Schwer atmend kam er oben an, verspürte einen Moment lang das Gefühl von Rettung.
    Doch dann …
    Wenn er Glück hatte, wachte er auf, bevor er der völligen Ausweglosigkeit gewahr wurde. Wenn er kein Glück hatte, sah er jenseits des Deiches ein zweites Meer herantosen. Wasser hinter ihm und Wasser vor ihm, so weit sein Blick reichte. Und in kurzer Zeit würden die Meere seinen Deich überspülen und sich vereinigen und ihn und die Schafe – die Schafe ließ sein Traum nie aus – verschlingen.
    »Verdammt! Verdammt! Verdammt!«, schrie Olaf Klar in sein nass geschwitztes Kissen hinein. »Ich halte das nicht mehr aus! Ich kann nicht mehr!«
    Der Traum hatte nicht vorzeitig geendet. Erst als er die völlige Ausweglosigkeit gezeigt hatte, entließ er Klar in die Realität.
    Aber was bedeutete schon Realität? Klar wusste, dass der Traum Bestandteil seiner Realität, seines verpfuschten Lebens war. Und er war sich sicher, dass der Traum ihn quälen und verfolgen würde bis ans Ende seiner Tage.
    Er weinte ins Kissen hinein, schluchzte laut, sein ganzer Oberkörper wurde geschüttelt von Verzweiflung.
    Als er endlich in der Lage war, sich im Bett aufzusetzen, stellte er sich wie schon oft die Frage, was ihn so erschütterte an diesem Traum. Es war nicht die Angst vor dem Tod. Er fürchtete den Tod nicht mehr allzu sehr. Im Gegenteil, er wünschte ihn sich oft herbei.
    Was ihn noch stets hatte zögern lassen, den letzten Schritt zu tun, war seine innere Stimme – die Aufforderung, seine Schuld, seine große, abzuladen.
    Ich muss reinen Tisch machen, dachte er.
    Doch das Einzige, was er zustande brachte, war, in der Firma anzurufen und sich wieder einmal krankzumelden.
    * * *
     
    Sie trafen Paul Schwarzenbacher mittags in der Mensa der SOWI, der Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Die Mensa war berühmt für ihre Riesenportionen Wiener Schnitzel mit Pommes oder Kartoffelsalat zu einem wirklich sozialen Preis. Und das Schnitzel war nicht nur preiswert, sondern meistens auch richtig gut.
    »War eine gute Idee, sich hier zu treffen«, sagte Schwarzenbacher, als sich Marielle und Pablo zu ihm gesellten. »Eine wirklich gute Idee. Es ist alles eben hier, keine blöden Stufen eingebaut. Außerdem bin ich eh ganz gerne hier.«
    »Was sollen wir dir holen, Paul?«, fragte Pablo.
    »Nichts«, sagte Schwarzenbacher. »Das kann ich schon selbst.« Er nahm einen Schluck aus seinem Colaglas.
    »Aber es wäre besser, du würdest hierbleiben und derweil den Tisch frei halten«, sagte Marielle.
    »Ich nehm ein Schnitzel«, meinte Pablo.
    »Ist mir zu viel«, sagte Marielle. »Ich nehm mir nur einen Salat.«
    »Dann nehm ich halt auch ein Schnitzel«, sagte Paul. Er streckte Pablo über den Tisch hinweg einen Zwanziger hin. »Geht auf mich.«
    Aber Pablo meinte nur, das käme gar nicht in Frage.
    Wenig später saßen sie an einem der Plastiktische beisammen und unterhielten sich kauend über die bisher noch unbefriedigenden Fortschritte bei

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