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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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schon.«
    Er erklärte Marielle anhand der genauen Karte, dass der Weg, der jetzt unter tiefem Schnee verborgen lag, gleich einen scharfen Knick nach links machen und unter steilschrofiges Gelände hineinziehen würde. Dort war der Hang geneigter, weniger steil, dafür aber war der Steig bedroht von morschem Gestein, das darüberlagerte – wie lose aufgeschichtet zu einem ziemlich steilen Wandl. In diesem Bereich war Steinschlag mehr als plausibel.
    »Angenommen, es war ein Mord, dann erscheint es mir naheliegend, dass Holzer hier hinabgestoßen worden ist.« Marielle dachte laut nach. »Zeig doch mal die Skizze, wo die Fundstelle des Toten eingezeichnet ist.«
    Sie verglichen die Skizze mit der Wirklichkeit und sahen ihre Vermutungen bestätigt: Von da, wo sie jetzt waren, konnte Holzer abgestürzt sein – vom Grat gedrängt oder gestoßen. Es war möglich, doch beiden kam es irgendwie vor, als wäre da ein Fehler, als führte sie dieser Gedanke in die falsche Richtung.
    Der Grat, auf dem sie sich befanden, und die brüchige Flanke bildeten zueinander beinahe einen rechten Winkel. Egal, wo Holzer gestürzt war, er wäre wohl im annähernd selben Bereich gefunden worden. Nur mit dem Unterschied, dass man beim Sturz drüben in der Flanke Steinschlag vermuten konnte, beim Sturz vom Grat aber nicht.
    »Stell dir mal vor, du wärst die Mörderin«, sagte Pablo. »Weit und breit kein Mensch, du hast also die Wahl, wann und wie du zuschlägst …«
    Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Ich würde dich am Grat runterstoßen. Wie du schon gesagt hast: Ehe du merken würdest, wie dir geschieht, wärst du schon tot. Oder zumindest halb tot.«
    Pablo grinste gequält. »Und weiter«, forderte er sie auf.
    Marielle dachte einen Moment lang nach. Dann sagte sie: »Also, wenn ich dich ermorden wollen würde, müsste ich auf Nummer sicher gehen. Nach deinem Sturz liegst du reglos da unten, fünfzig Meter tiefer. Aber es heißt nicht, dass du auch wirklich tot bist. Ich würde also auf dem Steig weitergehen bis hinein in die brüchige Flanke und dann im Schottergelände zu dir hinuntersteigen. Der Rest ist klar …«
    »So klar auch wieder nicht …«
    »Gut, wenn du es so genau wissen willst: Dann nehm ich einen Stein und hau dir damit so auf den Kopf, dass kein Zweifel mehr bestehen kann an deinem Ende.«
    »Wie plastisch du das schildern kannst«, sagte Pablo. »Ich fürchte fast, du hast längst einen Plan, mich aus der Welt zu schaffen …«
    »Idiot«, sagte Marielle. »Ich brauch dich doch. Zumindest vorläufig brauch ich dich noch. Und wenn nicht mehr … Na ja, da werden einem dann schon Ideen kommen!«
    Sie grinste ihn spitzbübisch an. Dann sagte sie:
    »Ich glaube, es hat sich gelohnt, dass wir heute hier herauf sind. Wir haben eine Vorstellung bekommen, eine Vorstellung, wie es gewesen sein könnte.«
    Pablo nickte. »Wir werden mit Paul drüber sprechen. Aber dazu müssen wir erst mal runter ins Tal.«
    Sie stiegen in die Bindungen ihrer Ski. Die Steigfelle hatten sie schon am Gipfel abgemacht und aneinandergeklebt. Sie checkten noch einmal, ob ihre Verschütteten-Suchgeräte angeschaltet waren, dann fuhren sie leicht schräg in den hier steilen und von Felsbrocken durchzogenen Hang ein. Pablo, der vorausfuhr, achtete darauf, nicht allzu viel Geschwindigkeit aufzunehmen. Das Gelände hier war heikel – sowohl in der Unberechenbarkeit der Schneedecke als auch wegen der Felsbrocken, die mehr oder weniger weit herausragten. Vorsichtig setzte er einen kleinen Schwung nach rechts, hängte einen Gegenschwung an und glitt dann mäßig abfahrend hinüber unter den Pirchkogelgipfel. Hier erreichten sie die eigentliche Skiroute – der weiße Hang war durchzogen von einem bizarren Geflecht geschwungener Skispuren. Steil war der Hang, aber für gute Fahrer, wie Marielle und Pablo es waren, genau das Richtige. Rhythmisch pflügten sie durch den stäubenden Schnee. Es war berauschend, die Geschwindigkeit mit der Kraft des Körpers und der Eleganz der Bewegungen zu verbinden.
    Marielle wünschte sich, dass dieser Tiefschneehang kein Ende nähme. Und Pablo erging es gewiss nicht anders.
    Abgesehen von dem kurzen Stopp, als Pablo einmal verkantete und im Schnee landete, hängten sie bis hinab ins Pistengelände Bogen an Bogen, Schwung an Schwung, ohne auch nur einmal verschnaufen zu wollen. Erst als sie die Pisten beinahe erreicht hatten, hielten sie an, gönnten sich eine kurze Atempause, tranken den letzten Rest

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