Kalter Fels
Willst du damit sagen, es war eine Musik junger Leute?«
»Genau das will ich damit sagen. Ich habe nur ein paar Schritte vom Fundort des Toten entfernt einen iPod gefunden, auf dem jede Menge Musik darauf war, die seinen Besitzer mit größter Wahrscheinlichkeit der Altersgruppe zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig zuordnen lässt.«
Schwarzenbacher musste nicht lange rechnen, um zu wissen, dass es sich unter diesen Umständen nicht um denselben Täter handeln konnte wie beim Mord an Karl Mannhardt.
»Mir wäre jetzt doch ganz lieb, wenn ich gleich einen Kaffee bekommen könnte. Irgendwie muss ich deine Information verdauen, einarbeiten in mein noch ziemlich wackeliges Gerüst aus Vermutungen und Interpretationen.«
»Ich lass uns einen Cappuccino durch die Maschine«, sagte Ipflinger, erhob sich und ging hinaus in die Küche. Die Tür ließ er offen, und er erzählte von Zimmer zu Zimmer etwas über den Hof und wie viel Zeit er und seine Frau hier verbrachten.
Aber Schwarzenbacher hörte nicht richtig zu. Er sah durchs Fenster hinaus zu den blühenden Bäumen, sah dahinter den Zahmen Kaiser und sah doch von alldem nichts: Seine Gedanken bildeten ein Spinnennetz, und dieses Netz, bislang vollkommen ohne Struktur, ein loses Gewirr aus zusammenhanglosen Fäden, nahm Gestalt an. Zum ersten Mal zeichnete sich etwas ab, was seinen Vorstellungen von einem kriminalistischen System entsprach. Vage zumindest. Der iPod war noch lange kein Beweis, das wusste er auch. Und doch eine Spur in eine neue Richtung. Wahrscheinlich kam es nicht oft vor, dass jemand im Kaisergebirge seinen teuren iPod verlor – und dann ausgerechnet an der Stelle, wo dieses Unglück geschehen war!
»Magst du Schlagobers oder Milchschaum?«, rief Ipflinger aus der Küche.
Es kam keine Antwort.
»Paul! Obers oder Milchschaum?«
»Was?«
»Obers oder Milchschaum?«
Es war Schwarzenbacher im Moment völlig egal.
10
Die Spur führte direkt zu Hedwig Senkhofer. Die Kripo hatte nicht lange gebraucht, zwei aus Scharnitz stammende Ferdinands sowie eine ganze Reihe in Seefeld auszumachen.
Marianne Grasberger musste ihren Mörder eingelassen und bewirtet haben. Kaffeetassen standen auf dem Tisch, ein leer gegessener Keksteller daneben.
Da das Leben der Frau allgemein als unauffällig galt, sie den Ort nicht allzu oft verließ, lag schnell die Vermutung nahe, dass es sich bei Ferdinand um einen Bekannten aus der Nachbarschaft gehandelt haben könnte.
Der eine Ferdinand war siebenundachtzig und hielt die Polizeibeamten, die kamen, um ihn zu vernehmen, für die Leute vom Sozialdienst, die ihm »Essen auf Rädern« brachten. Er war bitter enttäuscht, als sie nichts zu essen dabeihatten, beschimpfte die Beamten, zichtigte sie des Mundraubs und der Hurerei und warf die Tür vor ihren Nasen zu.
Fehlanzeige.
Vom anderen Ferdinand wussten die Nachbarn der Marianne Grasberger, dass er schon seit Jahrzehnten nicht mehr in Scharnitz lebte. Aber sie wussten auch, dass es eine Schwester gab und dass man die fragen müsse, was aus dem Senkhofer Ferdinand geworden sei.
Als Hosp in Begleitung seines Assistenten Wasle bei Hedwig Senkhofer läutete, war ihm auf Anhieb klar, dass mit dieser Frau etwas nicht stimmen konnte. Sie machte auf ihn einen geradezu entsetzten Eindruck, als er ihr seinen Dienstausweis hinhielt und sie nach ihrem Bruder Ferdinand fragte. Sie bekam keinen ganzen Satz heraus, stammelte wirres Zeug, ihre Augen wirkten verweint, und das Einzige, was unschwer zu verstehen war, war die Aussage, Ferdinand wäre in Australien.
»Das ist aber doch kein Grund, gleich so aufgeregt zu sein«, sagte Hosp. »Wir dürfen doch sicher reinkommen, Frau Senkhofer.« Er schob sie sanft ins Haus. »Wo können wir in Ruhe miteinander sprechen?«
Hedwig Senkhofer öffnete den Mund, es kamen aber keine Worte heraus. Nur Laute, so ähnlich wie bei einem Menschen, dessen Sprachzentrum nach einem Schlaganfall gelähmt war.
Hosp war sich nicht sicher, ob diese Frau eine Vernehmung überstehen würde. Sie machte den Eindruck, als würde sie jeden Moment umkippen. Er verständigte sich mit Wasle durch Blicke. Der wusste genau, was zu tun war. Er ging vors Haus, holte sein Handy heraus und verlangte telefonisch nach Dr. Sinic.
Der Innsbrucker Mediziner arbeitete regelmäßig mit der Kriminalpolizei zusammen; er war nicht nur ein sehr guter Arzt, er hatte auch ein besonderes Gespür für kriminalistische Zusammenhänge. Und, was ganz besonders wichtig war, er
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