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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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war verschwiegen übers ärztliche Schweigegebot hinaus.
    Hosp bugsierte die verstörte Frau in ihre Wohnküche und hieß sie, sich hinzusetzen. Er legte seine Jacke ab und setzte sich ihr gegenüber.
    Und dann – dann sagte er nichts. Gar nichts. Sah die Frau nur an, sah ihre ungepflegten, zerzausten Haare, ihr übermüdetes Gesicht, die umherirrenden Blicke, sah ihre nervösen Finger und vermutete, dass sie getrunken oder starke Medikamente eingenommen hatte.
    Es kann gut sein, dass Sinic mir die Vernehmung vorerst untersagt, dachte er. Wenn es so ist, hat er sicher auch gute Gründe dafür. Aber, dachte er weiter, noch ist er ja nicht da.
    Er schaute Hedwig Senkhofer nur an. Versuchte ihren Blick einzufangen und nicht mehr entkommen zu lassen. Sie wand sich, benahm sich wie ein in die Enge getriebenes Wild, nur dass sie da am Tisch saß und nicht zu wissen schien, wie sie dem Beamten entkommen konnte.
    »Was wollen Sie von mir?«, fuhr sie ihn plötzlich an. »Können Sie mich nicht in Ruhe lassen? Ich habe Ihnen nichts getan. Niemand habe ich etwas getan! Niemand! Verstehen Sie?«
    Hosp schwieg.
    »Ob Sie mich verstehen?«
    Er schwieg weiter.
    Er legte es darauf an, dass Hedwig Senkhofer in den nächsten Minuten völlig die Fassung verlieren würde – und dass ihm dann noch genug Zeit bliebe, ehe der Doktor eintraf.
    »Wenn Sie nichts sagen, dann gehen Sie gefälligst wieder. Ja, gehen Sie! Lassen Sie mich in Ruhe! Hören Sie! Sie sollen wieder gehen!«
    Schweigend lächelte er sie an.
    In ihren Augen sah er, dass sie ihm jetzt nur zu gern eine Pfanne oder ein Stuhlbein auf den Kopf gehauen hätte. Vielleicht auch einen Stein … In ihren Augen sah er aber auch entsetzliche Angst. Eine Angst, die er sich zunutze machte.
    »Nehmen wir einmal an«, sagte er ganz ruhig, mit tiefer Stimme, fast sanft dabei. »Nehmen wir einmal an, Ihr Bruder lebt seit Langem in Australien.«
    Er machte eine winzige Pause, in der Hedwig Senkhofer ihn ansah wie ein Reh, das das Klicken einer Jagdflinte gehört hat.
    »Wenn Ihr Bruder Ferdinand – er heißt doch Ferdinand, oder? –, wenn Ihr Bruder also auf diesem fernen Kontinent lebt, vierzehn Flugstunden von hier –, was könnte ihn dann bewogen haben, zurückzukommen nach Scharnitz und Frau Marianne Grasberger brutal zu ermorden?«
    Hedwig Senkhofer stöhnte auf, als hätte sie eine Embolie erlitten. Sie verdrehte die Augen und wäre vom Stuhl gekippt, wäre Hosp nicht aufgesprungen, um sie gerade noch aufzufangen.
    Er schleifte sie auf das verschlissene Sofa, das in der Wohnküche stand, legte sie darauf und holte ein Glas Wasser. Mit den Fingern spritzte er ihr ein paar Tropfen ins Gesicht, den Rest versuchte er ihr in kleinen Schlucken einzuflößen, als sie wieder zu sich gekommen war.
    »Ich glaube«, sagte er zu der völlig erschöpften Frau, »dass Sie mir sehr viel zu erzählen haben.«
    * * *
     
    Der Abstieg gestaltete sich für Marielle schwierig und schmerzhaft.
    Nach ihrem Sturz in der siebten Seillänge hatte Pablo sie zu sich an den Standplatz heruntergelassen. Der war breit genug, dass sie dort gut sitzen konnte. Sie war fahl im Gesicht. Das kam vom Schock und vom Schrecken, derart unkontrolliert gestürzt zu sein.
    Im Klettergarten war ein Sturz immer einkalkuliert. Und wenn es so weit war, ließ man sich ins Seil fallen, hielt dabei den Körper auf Spannung und verlor nie die Beherrschung der eigenen Haltung.
    Marielle aber war abgerutscht, war herauskatapultiert worden aus ihrer Kletterstellung, hatte nicht mehr gewusst, wo rechts, links, oben und unten war – und war dann mit dem Oberarm und mit dem seitlichen Rand des Helms gegen den Fels geprallt.
    Pablo erkannte sofort, dass sie mit der Entscheidung, auf die Mitnahme von Verbandszeug zu verzichten, grob leichtsinnig gehandelt hatten. Auch hätte er ihr gern erst mal einen Schluck zu trinken gegeben, aber die beiden Dosen waren bereits leer.
    Er fixierte Marielle am Standplatz und befragte sie mit ziemlich zittriger Stimme, welche Blessuren sie nach ihrer Einschätzung habe.
    Marielle hatte offensichtlich Schmerzen, war aber in der Lage zu antworten.
    »Am Kopf fehlt nichts, bin nur ein bisschen benommen. Da war der Aufprall nicht schlimm. Scheiße ist die Verletzung am Arm.«
    Ihr dünner Fleecepullover hing am Oberarm, knapp unter der rechten Schulter, in Fetzen. Er war blutgetränkt, und bei der ersten Untersuchung, die Pablo vornehmen konnte, sah er, dass eine tiefe Triangel in ihre Haut gerissen

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