Kalter Fels
Warum?«
»Ich würde dich gerne treffen. Nicht mehr heute, es könnte bei mir eine lange Nacht werden. Aber wenn ich morgen am Spätnachmittag vorbeischauen könnte?«
»Geht’s um Jazz oder um Mordfälle?«, fragte Schwarzenbacher.
»Gegen Jazz ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Aber es geht um Steinschlag … Übrigens, die Blue-Note-Platte, die du mir geliehen hast, gefällt mir wirklich über weite Strecken ganz außerordentlich.«
»Um Steinschläge?«
»Erzähl ich dir morgen«, sagte Hosp. »Ich bin um vier bei dir. Aber jetzt muss ich …«
Und dann war er auch schon draußen aus der Verbindung.
* * *
Ferdinand war verschwunden. So als wäre er wirklich in Australien.
Im Dorf sprachen sich Gerüchte noch schneller herum als die Nachrichten aus »Zeit im Bild«. Es gab wohl kaum mehr einen Menschen in Scharnitz, der nicht wusste, dass Ferdinand Senkhofer aus Australien zurückgekehrt sein musste – und dass er Marianne Grasberger ermordet hatte. Aber gesehen hatte ihn niemand. Er war verschwunden, untergetaucht, schien sich in Luft aufgelöst zu haben.
»Weit kann der nicht kommen«, sagte einer, als er beim Sparmarkt an der Kasse anstand und dabei die Schlagzeile des Kurier las: »Frauenmörder von Scharnitz – Täter auf der Flucht«.
»Na, weit kann der nicht kommen«, gab ihm eine Frau recht. »Aber wenn man bedenkt, hier bei uns, auf dem Dorf … Da glaubt man, so was würde nur in der Stadt passieren, und dann direkt in der Nachbarschaft. Ist das nicht fürchterlich?«
Ein Dritter mischte sich ein: »Gewiss ist ja noch gar nichts«, sagte er. »Ob der Senkhofer Ferdinand wirklich der Mörder ist, weiß ja die Polizei auch noch nicht, oder?«
Der junge Mann an der Kasse schüttelte den Kopf: »Aber in der Zeitung steht es schon so. Dass ein gewisser Ferdinand S., der wo aus Scharnitz stammen tut und der wo sich viele Jahre im Ausland aufgehalten haben soll, dringend der Tat verdächtigt wird. Aus die Finger saugen können die sich das ja auch nicht so ohne Weiteres …«
»Irgendwas wird schon dran sein«, sagte der Mann, der als Erster die Sprache auf den Mord gebracht hatte. »Irgendwas ist dran, glaubt es mir.«
Und es war etwas dran. Hedwig Senkhofer war in Begleitung von Dr. Sinic nach Innsbruck gefahren worden. Zunächst kam sie in die gesicherte Station in der Uniklinik. Sie wurde untersucht, und ihr Kreislauf wurde stabilisiert. Der behandelnde Arzt pochte darauf, dass ihr an diesem Tag keine Fragen mehr gestellt werden durften. Was Hosp natürlich gar nicht recht war. Er wandte sich an Sinic, aber auch der schüttelte nur den Kopf.
»Lass sie heute in Ruhe. Morgen kannst du sie für ein oder zwei Stunden aufs Revier bringen lassen. Ich vermute, dass sie dir nicht lange Widerstand leisten kann. Die Frau ist fertig. Und wenn du mich fragst, dann nicht nur wegen dem Mord in Scharnitz. Die zerbricht an einer Last, die alt ist, von der sie schon ewig nach unten gedrückt wird.«
»Wenn sie mir nur noch nicht heute zerbricht«, sagte Hosp. »Ich brauche Aussagen von ihr. Und dafür muss ich mich als Erstes um einen Haftbefehl kümmern. Zwar glaube ich nicht, dass sie unmittelbar an dem Mord beteiligt war, aber das muss ich ja nicht gleich einräumen. Ich lass das unter dem Verdacht der Mittäterschaft laufen, dann komm ich auch bei der Staatsanwaltschaft damit durch.«
»Ich wäre gern bei den Verhören dabei«, sagte Sinic. »Ich kann dir nicht sagen, was es ist, aber ich habe einfach so ein Gefühl, dass diese Frau ein großes Geheimnis verbirgt. Und ich wäre gerne dabei, wenn dieses Geheimnis gelüftet wird. Und überhaupt …«
Er sah Hosp mit ernsten Augen an. »Und überhaupt ist mir daran gelegen, dass sie nicht wirklich zerbricht. Zu hart kannst du sie nicht rannehmen. Sonst haben wir sie in der Psychiatrie. Sie steht meines Erachtens eh schon mit einem Fuß auf der Schwelle …«
Hosp willigte ein. Er hatte nichts dagegen, dass Dr. Sinic dabei wäre. Mehr noch: Es war ihm ganz recht. Er wollte nicht wieder in die Situation kommen, dass die Frau ohnmächtig vom Stuhl sackte.
Als er das Krankenhaus durch den Gang der Notaufnahme verließ, kam ihm ein Paar entgegen. Die junge Frau hielt sich den rechten Oberarm, der junge Mann hatte seinen Arm um sie gelegt. Als sein Blick auf ihren traf, merkte er, dass er sie von irgendwoher kannte. Und auch über ihr Gesicht huschte einen Moment lang ein fragendes Wiedererkennen. Er hätte aber nicht sagen
Weitere Kostenlose Bücher