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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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war. Ein dicker Fleischlappen stand in Dreiecksform ab. Nicht sehr groß, aber auch wirklich kein guter Anblick.
    Die Wunde blutete, jedoch nicht so stark, dass der Blutverlust zum Problem hätte werden können.
    »Wir haben drei Möglichkeiten«, sagte Pablo. »So richtig gut ist keine.«
    Marielle sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Die vielleicht beste wäre, einen Notruf abzusetzen und die Bergwacht kommen zu lassen.«
    »Nein!«, empörte sich Marielle. »Das muss auch so gehen. Ich schaff das schon.«
    Pablo war skeptisch. Aber da er schon von drei Varianten gesprochen hatte, musste er auch die beiden anderen noch ins Feld führen: »Die andere Möglichkeit ist, dass wir uns über die ganze Wand abseilen bis zum Einstieg. Ich bin mir aber nicht ganz sicher …«
    »Aber ich bin mir ganz sicher«, unterbrach ihn Marielle, »dass es das Beste ist, wenn wir uns nach oben durchschlagen. Wenn du alles vorsteigst und mir in jeden Haken Schlingen reinhängst, woran ich mich hochziehen kann, dann ist das der logischste Weg. Der Abstieg über die Christaturm-Normalroute ist leicht. Glaub mir, ich krieg das hin.«
    Pablo wusste, dass Marielle nur schwer umzustimmen wäre. Und zudem lag sie ja mit ihrer Ansicht ziemlich richtig. Die Frage war nur, ob sie das mit ihrer Verletzung durchstehen konnte. Es waren immer noch zwei sehr schwierige Seillängen zu bewältigen. Doch weil es noch früh am Tag war, wollte er diesen Versuch unternehmen.
    Das Halstuch, das er als modisches Accessoire trug, war jetzt für die Erste Hilfe bestens geeignet. Er band es um Marielles Arm, fixierte damit den Fleischlappen, stillte das Blut und nahm so ein wenig den Schmerz. Er überzeugte sich davon, dass sie imstande war, ihn gut zu sichern, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen und machte sich daran, den Rest der Tour so sicher und dabei so schnell wie möglich zu bewältigen.
    Als er Marielle dann am Gipfel der Fleischbank hatte, war er so wenig wie sie am eigentlich prachtvollen Rundblick in die gewaltige Felsszenerie interessiert.
    Marielle wäre jetzt am liebsten hier oben geblieben und hätte geschlafen. Aber das war das Falscheste, was sie hätten tun können. Er nahm sie ans kurze Seil und führte sie auf dem schmalen Steig hinüber zur Christaturm-Scharte.
    Als sie sich am sogenannten Herr-Weg zum Abseilen fertigmachten, klingelte in Pablos Wimmerl das Handy.
    »Seid ihr schon wieder im Tal?«, fragte Schwarzenbacher.
    »Verdammt, nein«, sagte Pablo. »Marielle ist gestürzt. Ich denke, wir brauchen noch drei Stunden bis zur Wochenbrunner Alm, und dann müssen wir ja auch erst wieder nach Kufstein fahren …«
    »Was fehlt ihr?«, fragte Schwarzenbacher besorgt. »Doch nichts Schlimmes, oder?«
    »Nein, nicht allzu schlimm. Aber wir kommen nur langsam voran.«
    »Dann lasst euch Zeit und geht auf Nummer sicher. Ich lasse mich von Ipflinger zum Bahnhof nach Kufstein fahren und nehm den Zug nach Innsbruck.«
    Pablo wollte etwas einwenden, aber Schwarzenbacher ließ keinen Widerspruch zu.
    »Du weißt, dass es kein Problem ist. Ich brauche zwar immer jemanden, der mir mit dem Rollstuhl hilft. Aber ich nehme mal an, dass eure Probleme größer sind im Moment.«
    Es stimmte. Für Marielle war es noch eine große Tortur, wieder hinabzugelangen zum Ellmauer Tor und dann durchs Kübelkar zur Gaudeamushütte. Erst als sie sich dort mit mehr als einem Liter Schwarztee gestärkt und aufgeputscht hatte, erwachten ihre Lebensgeister wieder ein bisschen.
    Jetzt dominierten nicht mehr nur Schmerz und Erschöpfung, jetzt kam wirkliche Wut dazu: Wut auf sich selbst, weil ihr das hatte passieren müssen.
    »Kann jedem passieren«, sagte Pablo lakonisch. »Lass uns jetzt langsam zum Auto gehen. Dann sind wir in einer Stunde in Innsbruck, da bringe ich dich ins Krankenhaus, damit die dir deine Fetzen wieder annähen.«
    »Ich geh nicht ins Krankenhaus«, trotzte Marielle. »Nicht schon wieder ins Krankenhaus!«
    »Dann eben nicht«, sagte Pablo. »Wenn es dir lieber ist, dein Lebtag lang da eine hässliche Narbe zu haben. Darfst dich halt zukünftig nicht mehr ganz ausziehen, nur untenrum, musst halt oben was anlassen – wegen der Ästhetik. Das Auge bumst ja mit …«
    »Du Arsch«, sagte sie. Und sie meinte es in diesem Augenblick auch absolut ernst.
    * * *
     
    Schwarzenbacher saß im Zug nach Innsbruck, als sich Hosp bei ihm auf dem Handy meldete.
    »Wo bist du?«, fragte Hosp.
    »Ich bin grad in Kufstein in den Zug gestiegen.

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