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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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aus München, hat er mir erzählt, und er war gern in den Bergen. Karl hieß er, Karl Mannhardt …«
     
    Als Schwarzenbacher das hörte, hätte er am liebsten gegen die Scheibe geklopft.
    Das war sein Fall!
    Und er hatte so viele Fragen an diese Frau!
    Aber ich bin ja nicht da, dachte er. Darf ja nicht da sein. Hoffentlich macht Hosp bald eine Pause, damit ich mit ihm reden kann. Aber er wird doch auch so wissen, von welcher Brisanz diese Geschichte für mich ist.
    »Er war freundlich, bescheiden. Ich hab ihn auf Anhieb gemocht. Nun müssen Sie aber wissen, dass ich keinen Mann vor ihm gehabt habe. Nie. Und nachher auch nicht mehr.«
    Sie sagte das mit so großer Selbstverständlichkeit, dass Schwarzenbacher heraushören konnte, dass sie sich für nichts schämte. Eine andere Frau hätte das schwerlich zugegeben.
    »Als wir uns dort verabschiedeten, wo die ersten Scharnitzer Häuser stehen – er musste zum Bahnhof und ich nach Hause –, hat er gleich gefragt, ob er mich wiedersehen könnte. Ich habe ihm gesagt …«
    »Ich muss hier kurz einhaken, Frau Senkhofer«, sagte Hosp. »Wenn Sie diese sehr persönlichen Dinge lieber mit einer Beamtin statt mit mir besprechen wollen …«
    Sie sah ihn verdutzt an. »Das würde die Sache nicht besser machen«, sagte sie nur. »Es ist mir egal, ob Sie ein Mann sind oder eine Frau. Für mich war das nie wichtig, ist es nicht wichtig. – Ich habe Karl wiedergetroffen, nach ein paar Tagen schon. Ich hatte ihm gesagt, dass ich drei oder vier Tage in Scharnitz sei, bevor ich wieder auf die Alm hinaufmüsse. Er hat gesagt, er könnte mich auf der Alm besuchen. Aber das wollte ich nicht. Ferdinand war droben, und ich habe von Anfang an gespürt, dass es nicht gut gehen würde: mein Bruder und der Karl. Ich hab das verheimlichen wollen, solange es nur ging. Der Ferdinand hat erst mal nichts mitbekommen.«
    Sie machte auf Schwarzenbacher einen gefassten, sehr entschiedenen Eindruck. Er kannte diese Art von Menschen im Verhör: Sie hatten ihren inneren Widerstand aufgegeben und waren nun bereit, alles oder zumindest fast alles preiszugeben.
    »Ich glaube, im Dorf selbst hat auch nie jemand was mitbekommen«, fuhr sie fort, »auf alle Fälle ist mir nie ein Gerede zu Ohren gekommen. Ich war den Sommer über auf der Alm, bin aber unter allerlei Vorwänden viel öfter ins Tal als sonst. Da hab ich dann den Karl zu mir heimgeholt. Ich hab ihn gerngehabt, von Anfang an. Doch genau genommen war das Reizvollste daran die sexuelle Erfahrung. Ich habe ja wie gesagt nie einen Mann vorher gehabt. Und Karl war gut zu mir. Das muss ich sagen. Er hat mich zur Frau gemacht. Er hat mir die Tür zu etwas aufgestoßen – Ferdinand hat sie dann aber zugestoßen und abgesperrt und verrammelt und verriegelt. Für immer. Es hat keine andere Tür gegeben. Keinen Notausgang. Für mich nicht. Irgendwann, es war im frühen Herbst und ich bin wieder einmal runter nach Scharnitz, um mit Karl das Wochenende zu verbringen, stand plötzlich Ferdinand in der Tür. Zwei Ziegen waren krank geworden, zwei gottverdammte Ziegen. Und wegen dieser beiden Ziegen ist er ins Tal abgestiegen – um mich zu holen. Und wegen dieser beiden verdammten Ziegen ist in diesem Moment meine Welt zerbrochen. Und seine auch.«
    Sie sah auf, sah durch Hosp gleichsam hindurch, schien an den kahlen Wänden des Vernehmungszimmers ihre Erinnerungen zu sortieren und in die richtige Reihenfolge zu bringen. Stockend fuhr sie fort:
    »Ferdinand fand uns in einer sehr verfänglichen Situation. Aber dass das gut für mich war, hat er nicht verstanden, damals nicht und später auch nicht. Er ist hereingestürmt, hat Karl weggerissen von mir, hat ihn vom Bett gezerrt und auf den Boden gestoßen.
    Ich habe geschrien. Habe geschrien: ›Hör auf! Hör auf! Hör auf!‹, und währenddessen hat sich mein nackter Liebhaber zu wehren versucht oder wenigstens zu entkommen. Aber Ferdinand war wie rasend, hat gebrüllt: ›Der darf dir nichts tun! Ich bring ihn um! Der darf dir nichts tun!‹
    Ich hab meine ganze Kraft aufbieten müssen, ihn zu halten, ihn zu beruhigen. Aber das ist mir nie wirklich gelungen. Ferdinand hat geglaubt, dass Karl mir Gewalt angetan hätte. Er hat nicht verstanden und nicht einsehen können, dass ich es genauso gewollt habe wie Karl. Er hat einfach nicht realisiert, dass ich mehr war als nur seine Schwester. Dass ich auch noch ein eigenes Leben hatte, haben wollte. Aber da ist ja nichts draus geworden.«
    Sie sah zu dem

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