Kalter Fels
extrembergsteigerischen Sicht heraus einen hieb- und stichfesten Bericht schreiben. Am besten, dachte er, berufen wir die ganze Runde ein. Bei Reuss im Besprechungszimmer. Und Hosp sollte auch dabei sein. Der Fall ist viel zu frisch, als dass wir ihn an der Behörde vorbeijonglieren könnten. Und dann möchte ich, dass Hosp einen Text herausgibt, der in den Alpenvereinszeitschriften und auf deren Homepages veröffentlicht wird.
Können wir nicht machen, dachte er. Da könnte ja jeder kommen und irgendwelche abstrusen Suchaktionen starten. Wenn das aber die Kripo Innsbruck macht, wird sich keine Redaktion verweigern. Er lächelte still vor sich hin.
Und dann ist da ja noch dieser Mord in Scharnitz. Hosp will in dieser Sache ein Gespräch mit mir. Auch ein Steinschlag-Mord? Was man aus den Medien so erfährt, passt die Tatwaffe genau in unser Schema. Nur alles andere passt nicht: Die Tat hat sich nicht unter freiem Himmel abgespielt, nicht in den Bergen, und das Opfer ist diesmal eine Frau.
Er wählte Hosps Handynummer. Aber Hosp nahm das Gespräch nicht an. Schwarzenbacher schaute auf die Uhr: halb zehn. Er probierte es noch einmal. Wieder erfolglos.
Zu gerne hätte er gewusst, wie bei Hosps Ermittlungen der Stand der Dinge war und warum genau er ihn sprechen wollte. Aber er musste sich gedulden.
Er schaltete den CD-Player aus und den Fernseher an. Zappte durch alle Kanäle. Doch was er sah, gefiel ihm nicht. Schlimmer noch: Es frustrierte ihn regelrecht. Schon spürte er wieder diese Wut in sich und auch die darunter verborgene Verzweiflung. Aber an diesem Abend wollte er sich nicht gefangen nehmen lassen von einer Depression, wie sie ihn schon so oft heimgesucht hatte. Er nahm sich eine Jacke und verließ seine Parterrewohnung in der Egerdachstraße im Stadtteil Pradl.
Der Abend war lau, und Schwarzenbacher rollte der Altstadt entgegen. Kein sehr kurzer Weg, wenn man auf den Rollstuhl angewiesen war. Andererseits hatte die Fortbewegungsart Schwarzenbachers Armmuskulatur sehr stark ausgebildet – noch war nur seine untere Körperpartie vom Schwund der Muskeln beeinträchtigt; die Arme taten ihre Dienste sehr gut. Besonders an diesem Abend, wo er vom Motivationsschub getrieben und zugleich vor einer drohenden Depression auf der Flucht war.
Er wollte in die Stadt, dorthin, wo die Schaufenster erleuchtet waren, und er wollte sehen, was die Bekleidungsgeschäfte so alles in den Auslagen hatten.
* * *
An einem Sonntagmorgen war Olaf Klar in Wilhelmshaven losgefahren, ziellos. Er war, unbeabsichtigt, in der Kleinstadt Esens angekommen, war durch die stillen Straßen gegangen und war plötzlich vor der imposanten Kirche St. Magnus gestanden. Der Gottesdienst war im Gange und das Orgelspiel drang bruchstückhaft zu ihm auf den Vorplatz.
Er war in den Gottesdienst gegangen, hatte sich auf einen der vielen leeren Plätze gesetzt, hatte still gebetet und dann mit zunehmender Aufmerksamkeit die Predigt des Pastors verfolgt. Die Stimme, die Worte, die Art, wie der Mann sprach, all das hatte ihn gefangen genommen und tief beeindruckt.
Als dann die Orgel wieder einsetzte, klärte sich einiges für Olaf Klar: Sein bisheriges Leben glitt gleichsam im Zeitraffer an ihm vorbei.
Er stammte aus Wilhelmshaven, war dort geboren und aufgewachsen, ehe es ihn als zwölfjährigen Schüler nach Bayern verschlagen hatte, wo sein Vater, Professor Jörg-Henry Klar, einer Berufung an die Ludwig-Maximilians-Universität gefolgt war.
Mittlerweile war Klar dorthin zurückgekehrt, wo er seine Wurzeln wusste. Diese Rückkehr war aber nicht nur seiner Heimatverbundenheit geschuldet, sondern auch dem innigen Wunsch, den Bergen so fern zu sein wie nur irgend möglich.
Die Berge hasste er, hasste sie beinahe so sehr wie sich selbst.
Doch jetzt, das spürte er ganz deutlich, konnte sein Hass ein Ende finden.
Dieser Pastor, das konnte er in Erfahrung bringen, war Superintendent Oltmanns. Ihn hatte er sich zum Beichtvater erkoren – auch wenn es das bei den Protestanten gar nicht gab.
* * *
Nachts hatte Marielle große Schmerzen. Die Wunde war gereinigt und geklammert worden, jetzt tobte der ganze rechte Oberarm, und sie konnte keinen Schlaf finden, trotz zweier Ibuprofen-Tabletten, die sie eingenommen hatte. Pablo, der sich fürsorglich um sie gekümmert hatte, schlief hingegen wie ein Murmeltier im Winter.
Sie hockte sich auf ein Kissen vor das Bett, schaltete ihren Laptop an und surfte durch das Netz.
Sie fand auf
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