Kalter Fels
Spiegel im Raum und lächelte.
»Hinter dem Spiegel«, sagte sie, »da hockt doch bestimmt wer und schaut uns zu, oder?«
Hosp sah zum Spiegel, schaute wieder zu Hedwig Senkhofer und sagte nur: »Erzählen Sie bitte weiter.«
* * *
Nachdem Klar mehrmals um den Backsteinbau der Kirche herumgeschlichen war und nachdem er mehrmals vor dem Schaukasten mit den Veranstaltungshinweisen gestanden hatte, ohne dass er die Aushänge und die lutherischen Bibelzitate wirklich gelesen hätte, betrat er das an die Kirche grenzende Gemeindehaus, suchte das Sekretariat und fragte, ob Herr Oltmanns zu sprechen sei.
»Um was geht es denn?«, fragte die Sekretärin freundlich.
Ihre Freundlichkeit erstaunte ihn, er hatte nicht damit gerechnet. Er hatte mit gar nichts gerechnet, so gefangen war er in seinen Qualen.
»Das kann ich ihm nur selbst sagen.«
»Ist es eilig?«
»Sehr.«
»Dann ist es am besten, Sie warten hier.« Die Sekretärin bot ihm einen Stuhl an. »Er müsste in einem Viertelstündchen zurück sein.«
Klar setzte sich. Aber er hätte jetzt alles lieber getan, als dazusitzen. Seine Hände und Füße bewegten sich unruhig und ohne Unterlass. Es dauerte nur fünf Minuten, ehe er aufsprang und sagte:
»Dann erledige ich in der Zwischenzeit noch was …«
»Aber …«
»Ich bin gleich wieder da. Vielen Dank.«
Und schon war er draußen aus der Tür.
Die Sekretärin hatte ein komisches Gefühl, was diesen Mann betraf. Aber sie verdrängte es, vergaß ihn, hatte viel zu tun.
* * *
»Ich habe ihn angeschrien, habe ruhig mit ihm gesprochen, habe ihn angefleht. Doch er hat es einfach nicht verstanden«, sagte Hedwig Senkhofer. »Hat nicht verstanden, dass Karl fortan zu mir gehören sollte. Er hat ihn als Feind betrachtet, als einen Menschen, der mir nur schaden wollte. Und wenn nicht mir, dann unserem Verhältnis.«
»Ich möchte hier eine winzige Unterbrechung machen, Frau Senkhofer«, sagte Hosp. »Ich hätte jetzt gern einen Kaffee, und wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen auch einen. Oder auch irgendwas anderes: eine Cola, einen Almdudler oder ein Pago-Saftl.«
Die Senkhofer nickte. »Einen Kaffee«, sagte sie. »Bitte.«
Schwarzenbacher hatte nun Gelegenheit, Hedwig Senkhofer zu beobachten, wie sie allein in diesem ungastlichen Vernehmungsraum saß. Sie wirkte wie … ja, wie wirkte sie?
Sie wirkt irgendwie wie ein Vogel, der nicht mehr fliegen kann, dachte er.
Sie wirkt wie ein Wesen, das sein Leben nie leben konnte, weil es mit gebrochenen Flügeln nie vom Boden wegkam.
Die Tür öffnete sich, und Hosp kam herein.
»Was sagst du?«
»Ich kann mich nur bedanken«, sagte Schwarzenbacher.
»Bedanken?«
»Dafür, dass du mich dazugeholt hast. Du erlebst mich beinahe sprachlos. Und du weißt ja, oft kommt das nicht vor.«
»Treffer?«, fragte Hosp. Aber er wusste die Antwort natürlich schon.
»Volltreffer«, sagte Schwarzenbacher. »Du kennst das ja selbst. Wenn eine Vermutung zur Gewissheit wird, dann stellt sich ein unbeschreibliches Gefühl ein …«
»Eine Mischung aus Euphorie und Erschöpfung.«
Schwarzenbacher nickte. »Ich bin im Moment völlig fertig. Und zugleich schlägt mein Puls bestimmt deutlich schneller als sonst. Ich steh unter Strom. Komm mir vor wie ein Boxer, der einen Kampf gewonnen hat, aber selbst auch gehörig einstecken musste.«
Hosp lächelte und nickte. »Kenn ich gut.«
Schwarzenbacher sah ihn an. »Reuss wird Augen machen«, sagte er. Und dann fügte er hinzu: »Mach schnell weiter. Ich bin so gespannt, was du noch zutage förderst.«
»Keinen Kaffee? Ich lass grad einen bringen für die Senkhofer und mich.«
Schwarzenbacher schüttelte nur den Kopf.
Hosp blieb noch einen Moment lang in der Tür stehen. »Glaubst du, dass sie Mittäterin ist?«
Schwarzenbacher überlegte nur ein paar Sekunden. »Ich glaube, dass sie schwere Schuld auf sich geladen hat. Aber ob man sie juristisch belangen kann, ist eine andere Frage.«
Als Hosp wieder im Vernehmungsraum war und vor Hedwig Senkhofer und vor sich je eine Tasse Kaffee gestellt hatte, war seine erste Frage:
»Warum hat Ihr Bruder Karl Mannhardt umgebracht?«
Die kurze, prägnante Frage kam so knallhart, ohne Vorwarnung, dass Hedwig Senkhofer zusammenzuckte.
Nach einer Weile, während der sie mit ihren Blicken einen Ausweg aus diesem Raum zu suchen schien, sagte sie mit gepresster Stimme, dass sie so nicht mit ihm sprechen könne. Dass sie es nicht zulasse, Ferdinand in eine Ecke gedrängt zu
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