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Kalter Fels

Kalter Fels

Titel: Kalter Fels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Koenig
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sich hatte, gestand ihm, an zwei grauenvollen Tötungsdelikten beteiligt gewesen zu sein. »Ich habe immer wieder daran gedacht, mich umzubringen. Und ich halte es immer noch für das Beste. Aber ich kann es nicht tun, bevor ich mich nicht jemandem offenbart habe …«
    Mit zwei Freunden, Mitschülern an einem Münchner Internat, war er in den Sommerferien in den Bergen unterwegs gewesen. Beim ersten Mal hatten die Eltern nur schweren Herzens ihre Einwilligungen gegeben. Aber dann … es war ja alles gut gegangen beim ersten Mal … und im übernächsten Jahr waren die Jungs zwei Jahre älter …
    »Wir haben es getan, weil uns langweilig war«, sagte Klar. »Wir haben diesen Mann erschlagen, weil uns langweilig war und weil wir uns daran berauscht haben, die Macht zu haben über sein Leben und seinen Tod.«
    »Wann war das?«, fragte Oltmanns, der um Fassung rang.
    »Das war 2002«, sagte Klar. »Im Rofangebirge. Das ist so ein Gebirge in Tirol, nicht weit von der Grenze zu Bayern. Der Achensee ist ganz in der Nähe.«
    »Warum? Warum nur? Warum gerade diesen Mann?«
    »Es war einfach Zufall. Es hätte auch jeder andere sein können, der des Wegs gekommen wäre. Allein musste er sein, und weit und breit durfte niemand in der Nähe sein. Aber es gibt im Rofan ganz einsame Gebiete …«
    »Sie haben ein zweites Mal gemordet?«
    Klar legte sein Gesicht wie ein Büßer in die Hände und begann zu schluchzen. Er schluchzte so sehr, dass er kein Wort mehr herausbrachte.
    Oltmanns, der sich hinter seinem wuchtigen Schreibtisch geradezu verschanzt hatte, um die Wogen des Horrors nicht ganz an sich heranzulassen, erlebte sich selbst hilflos.
    Sein Beruf verlangte, Trost zu geben. Seine christliche Haltung forderte Verständnis, und wenn schon nicht Verständnis, dann wenigstens Verstehen. Doch er konnte nicht verstehen, und er wollte nicht trösten. Er war voller Wut und voller Verzweiflung, und am liebsten hätte er diesen Olaf Klar am Kragen gepackt und vor die Tür gesetzt. Er hörte jedoch auch die Geschichte des zweiten Mordes noch an, als Klar wieder zu sprechen in der Lage war, und dabei wuchsen Wut und Verzweiflung in ihm wie ein Geschwür.
    Das Einzige, was ihn für Klar einnahm, war die Tatsache, dass er ein Gewissen haben musste. Es schien ihn jetzt so sehr zu quälen, dass er nicht mehr ein und aus wusste. Oltmanns glaubte zu wissen, was Klar von ihm wollte: ihm die Last der Geschichten aufbürden, sie los sein, vielleicht sogar Trost erhalten und so etwas Ähnliches wie Absolution.
    »Sagen Sie mir … sagen Sie mir bitte, was ich machen kann … ich kann so nicht mehr leben … was kann ich nur tun?«, stammelte Klar am Ende seine Beichte. »Ich kann und will so nicht mehr leben. Ich kann einfach nicht mehr.«
    Oltmanns schwieg. Er sah sich den jungen Mann an, der wirklich sympathisch gewirkt hätte, wären da nicht diese grauenvollen Bluttaten gewesen – grundlos, zufällig, ohne Motiv, ohne Ziel, nur so aus Langeweile. Und um Menschen beim Sterben zuzusehen.
    »Ziemlich viele Ichs«, sagte er dann, und seine Stimme klang nachdenklich und forsch zugleich. »Sie reden nur davon, dass Sie das alles nicht mehr aushalten können. Haben Sie auch mal darüber nachgedacht, wie es den Angehörigen Ihrer Opfer ergangen ist? Was die an Leid zu tragen hatten und sicher immer noch an Leid tragen? Ich nehme an, das haben Sie nicht. Zumindest nicht in dem Ausmaß, wie Sie sich selbst bedauern. Und nun kommen Sie zu mir und wollen geistlichen Beistand. Aber dafür, das sage ich Ihnen ganz offen, ist es noch viel zu früh. Was Sie zu tun haben …«
    Klar schaute ihn mit verweinten Augen und offenem Mund an.
    Er ist immer noch ein Schuljunge und kein erwachsener Mann, dachte der Superintendent. Ein mörderischer Schuljunge …
    »Was Sie zu tun haben«, fuhr er dann fort, »ist, zur Polizei zu gehen und ein umfassendes Geständnis abzulegen. Sagen Sie aus! Verschweigen Sie nichts, nicht das kleinste Detail. Und zögern Sie nicht, Ihre Mittäter zu nennen – wie heißen sie gleich wieder?«
    »Siegloch und Gensner«, schluchzte Klar. »Aber Siegloch ist tot, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen … der Glückliche.«
    »Der Glückliche? Sie glauben also, dass dieser Siegloch Glück hatte, weil er umgekommen ist und nun mit dieser schweren Schuld vor Gott hintreten muss? Und Sie möchten am liebsten auch hin sein, tot, nicht mehr belastet von Ihrem Verbrechen? Das würde Ihnen so passen.«
    Oltmanns wischte sich

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