Kalter Grund - Almstädt, E: Kalter Grund
Korridors lag, hatte sie ihrer Wut und Frustration erst einmal Luft gemacht. Mit einem gezielten Tritt hatte sie den abgesessenen Bürostuhl gegen den Heizkörper geknallt. Als das nicht half, hatte sie versucht, sich mit ein paar tiefen Atemzügen zu beruhigen.
Danach nahm sich Pia eine Arbeit vor, die etwas Konzentration erforderte, wenn schon nicht intellektuelle Fähigkeiten. Sie hoffte, dass sie dadurch wenigstens vom Grübeln über ihre miserable Lage hier abgehalten werden würde.
Dass ihre Arbeit nicht sehr anspruchsvoll war, lag daran, dass man ihr noch nichts zutraute, was die Intelligenz einer Barbiepuppe überforderte.
Pia Korittki war dem Team um Conrad Wohlert zugeteilt. Sie untersuchten den Tod eines Geschäftsmannes, den man ertrunken aus der Wakenitz gezogen hatte. Die Sache schleppte sich schon seit Monaten dahin und Kriminalrat Gabler, der langsam ungeduldig wurde, hatte Pia als zusätzliche Unterstützung eingeteilt. Sie bekam allerdings nur die langweiligste Arbeit aufgetragen, all das, wozu die anderen keine Lust hatten.
Pia brannte darauf, ihre Fähigkeiten und ihre Einsatzbereitschaft endlich unter Beweis stellen zu können. Sie war schon mehrmals bei ihrem Vorgesetzten Horst-Egon Gabler gewesen und hatte ihn gedrängt, ihr endlich eine verantwortungsvolle Aufgabe zu übertragen. Bisher erfolglos. Sie saß an ihrem Rechner und arbeitete Aufträge ab, die auch eine versierte Schreibkraft hätte erledigen können – wenn eine zur Verfügung gestanden hätte.
»Aber dafür haben sie ja nun mich ...«, murrte sie und hämmerte wütend auf die Tastatur ihres Computers ein, »aber warte, Horst-Egon, ich werde es euch schon zeigen ...«
In diesem Moment öffnete sich die Tür und einer ihrer Kollegen betrat den Raum. Pia, deren Büro bisher nicht gerade der kommunikative Mittelpunkt des Kommissariats gewesen war, sah überrascht auf.
»Ich hoffe, ich störe nicht zu sehr; es hört sich von draußen an, als würdest du für die Tippsen-Olympiade üben.«
Die spöttische Stimme gehörte Marten Unruh. Kriminalhauptkommissar,soweit Pia wusste, und recht angesehen in der Abteilung. Meistens bildete er mit KOK Michael Gerlach ein Team. Marten Unruh hatte sich bei den Dienstbesprechungen bisher zurückgehalten. Pias Einschätzung nach gehörte er zu dem zweiten Lager hier, das sie für sich die »heimlichen Rebellen« getauft hatte. Die Bezeichnungen der beiden verfeindeten Lager bezogen sich auf das Verhalten dem viel gehassten Chef der Abteilung gegenüber.
Marten Unruh war schmal und sehnig gebaut wie ein Marathonläufer. Seine Kleidung war lässig bis nachlässig, das braune Haar einen Tick zu lang und seine Augen hatten eine hellgraublaue Farbe. Gegen seinen Kollegen Michael Gerlach, der stets ein bisschen wie ein Hugo-Boss-Model aussah, wirkte er unscheinbar. Pia hatte ihn bei den Besprechungen jedoch genau beobachtet, in dem Zweier-Team gab er den Ton an. Seine Blicke waren schneidend und sein Ton leise, aber scharf. Den anderen schien sein Sarkasmus Respekt einzuflößen.
Er lehnte mit seinen verwaschenen, ausgefransten Jeans an ihrem ebenso abgeschabten Schreibtisch und sah nachdenklich auf sie herunter. Ein Privileg, das ihm bei seinen 178 Zentimetern Körperlänge sonst nicht vergönnt war.
»Der ganze Kram hier ist eigentlich Arbeit für ein Schreibbüro ...«, bemerkte Pia und rollte mit ihrem Bürostuhl ein Stück vom Tisch ab, um Marten Unruh besser ansehen zu können.
»Tja, bislang nur unwichtiges Zeug«, antwortete er, ihre Akten auf dem Schreibtisch mit wenigen Blicken erfassend, »aber so haben wir wohl alle mal angefangen.«
»Ich bin aber keine Anfängerin!«, entgegnete Pia schärfer als beabsichtigt.
Marten ging nicht weiter darauf ein. Er lächelte wissend: »Vielleicht ist heute dein Glückstag, du sollst zu unserem Chef kommen, und zwar«, er sah auf seine Armbanduhr, »jetzt!«
Pia fühlte ein leichtes Flattern in der Magengegend. »Hast du eine Ahnung, worum es geht?«
»Nein, ich wollte dich gerade unauffällig aushorchen, ich habe nämlich den gleichen Termin. Hotte Gabler sprach ausdrücklich von Unruh und Korittki.«
Pia musste fast widerwillig lächeln, denn der Spitzname »Hotte« stand in scharfem Kontrast zu dem ernsten, von sich eingenommenen Kriminalrat Horst-Egon Gabler.
»Ist nicht von mir. Trotzdem schön zu wissen, dass du es doch hast«.
»Was denn?«
»Humor«
Pia blieb keine Zeit mehr, darauf zu antworten oder darüber nachzusinnen, warum
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