Kalter Schlaf - Roman
für vermisste Personen nach weiteren jungen Frauen suchen, die aus den Greater West Midlands verschwunden sind.«
Seine Stimme explodierte in ihrem Ohr. »Hast du eine Vorstellung davon, wie viele Namen wir dabei auf den Tisch bekommen? Junge Frauen, die aus allen möglichen Gründen von zu Hause fortgegangen sind, die geglaubt haben, in einer größeren Stadt als Birmingham ihr Glück …« Bernie sprach nicht weiter.
»Was?«, fragte Kate.
»Nichts. Ich gebe auf. Der Arsch flippt aus, wenn er das hört. Wir erzählen es ihm am Montag. Oder vielleicht lieber erst, wenn wir …«
Die Verbindung riss mitten im Satz ab. Kate betrachtete stirnrunzelnd das Display mit der Warnung Akku bitte aufladen! Als sie das Handy seufzend einsteckte, wurde ihr ihre Umgebung erneut bewusst. Ein leichter Windstoß ließ das Laub der Bäume in ihrer Umgebung rascheln. Kate betrachtete die schwankenden Äste über sich, dann sah sie rasch nach links, wo sie ein Knacken von dürren Zweigen gehört zu haben glaubte. Whittaker?
Kate bemühte sich, gleichmäßig zu atmen, spürte jedoch, dass ihr Herz jagte, als sie auf dem gleichen Weg zurückging. Sie wollte keinen Augenblick länger hier sein und sehnte sich nach Verkehrslärm, Benzingeruch, Menschen. Sie wollte ihren Wagen sehen. Sie wollte darin sitzen.
Zwanzig Minuten später stand Kate in der Wochenendstille vor der Glastafel im Büro des Departments für ungeklärte Fälle. Über Mollys Namen hatte sie in Großbuchstaben das Wort SERIENTÄTER geschrieben.
Kate sah sich in dem leeren Raum um, fühlte sich plötzlich einsam und zwang sich dazu, sich zu konzentrieren, betrachtete die Glastafel und nahm die Informationen auf, die dort schon angeschrieben standen.
Mit Mollys Namen durch Pfeile verbunden waren die ihrer beiden Freundinnen. Und ihre Telefonnummern. Informationen, die nachverfolgt werden mussten. Samstagmorgen. Kein Werktag. Kate griff nach dem Telefonhörer und versuchte es mit beiden Nummern. Ohne Erfolg.
Wiederholtes Poltern auf der Treppe, dann erschien plötzlich Maisie im Wohnzimmer.
Kate saß, gegen ein großes Kissen gelehnt, auf dem Sofa. Nach ihrer Rückkehr hatte sie die Sachen ausgezogen, die sie an jenem schrecklichen Ort getragen hatte, war unter die Dusche gegangen, hatte die kühlenden Wasserstrahlen genossen und war dankbar dafür gewesen, dass Maisie und sie in diesem Haus zusammen sein konnten. Sie hatte auch ihr Haar gebürstet, das glänzend und schwer auf ihren Schultern lag. Jetzt trug sie einen locker gestrickten Sweater aus weißer Baumwolle, dazu eine gelbe Caprihose. Ihre gebräunten Füße waren nackt, aber sie hatte sich die Zehennägel leuchtend orangerot lackiert. Das alles war ihr ein Bedürfnis gewesen.
Sie blätterte in dem Lehrbuch und schrieb eine weitere Anmerkung an den Rand. Es gab immer etwas zu arbeiten. Und für Kate war das in Ordnung. Sie fühlte sich ihren Aufgaben gewachsen.
»Hi, Mamabär!«
Kate hob den Kopf, dann sah sie genauer hin, um Maisies Aufmachung zu begutachten – vor allem den blauen Seidenschal, der ihre üppigen Locken zusammenhielt. Er sah verdächtig wie Kates liebster Schal von Ralph Lauren aus. Ihr Blick glitt über den kurzen, mit Spitzen besetzten, gelben Petticoat, zu dem Maisie weiße knielange Leggings und ein blaues Oberteil trug. Falls es ein »Bild blühenden Lebens« gab, verkörperte Maisie es.
»Hallo, Babybär«, antwortete Kate vorsichtig.
Es war schon länger her, dass Maisie diese einst gewohnheitsmäßige Begrüßung toleriert hatte. Kate schob wie beiläufig ihre Unterlagen zusammen. Hellwach wie immer, erriet Maisie, was sie damit bezweckte.
»Mom, ich weiß, was du tust. Du brauchst mich nicht davor zu beschützen.« Sie ließ sich neben Kate aufs Sofa plumpsen und schob ihre Zehen unter die Oberschenkel ihrer Mutter. Kate schrieb inzwischen weiter. »Weißt du, welches Problem du hast, Mom?«
»Nein. Aber ich habe den Verdacht, dass du es mir gleich erzählen wirst.«
Maisie setzte sich auf dem Sofa zurecht und griff nach den verstreuten Notizen, die Kate sich auf unterschiedlich großen Zetteln gemacht hatte. Kate sammelte sie rasch ein und legte sie in ihren Aktenkoffer.
»Also, ich habe folgende Theorie«, fuhr Maisie fort. »Du glaubst, dass du alles weißt, stimmt’s? Was passieren wird, meine ich, oder was Leute tun werden, weil alle Leute, mit denen du arbeitest, echte Spinner sind – nicht Bernie und Joe, ich meine die anderen, die gefährlichen Kerle, über
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