Kalter Schlaf - Roman
die du Berichte schreibst, die dann von alten Richtern gelesen werden. Deshalb glaubst du, dass dort draußen jeder verrückt ist und schreckliches Zeug plant.« Sie atmete tief durch. »Das denke ich. Phyllis hat recht. Du musst dich entspannen, alles lockerer sehen. Die meisten Leute sind in Ordnung.«
Kate betrachtete das Gesicht ihrer Tochter: den glatten gebräunten Teint, die dichten langen Wimpern, den rotblonden Haaransatz unter dem blauen Seidentuch. Sie wusste von Sexualverbrechern, die alles dafür gegeben hätten, um …
»Was hältst du davon, wenn wir heute beim Pizza Express essen?«
»Cool!« Maisie sprang mit einer flüssigen Bewegung auf und lief in die Diele.
Auf halber Höhe der Treppe rief sie: »Hey, Mom, das hätte ich fast vergessen: Joe hat angerufen. Er will später vorbeikommen. Er kann zum Essen mitgehen!«
Kate griff wieder nach ihren Notizen. Bildete sie sich das nur ein, oder war Maisie in letzter Zeit lauter, lärmender geworden? Sie würde mit ihr darüber reden müssen, dass man das Garagentor nicht so zuknallen durfte. Die alte Mrs. Hetherington von nebenan hatte sich schon wieder beschwert.
17
Am Montag kurz vor Mittag reihte sich die junge Frau gut gelaunt in einem Coffeeshop in der Innenstadt in die Schlange vor der Lunchtheke ein und wartete darauf, bedient zu werden. Während sie anstand, beobachtete sie die anderen Gäste – weiterhin in Hochstimmung, weil ihr erst vor einer Stunde in ihrer Firma eine unglaubliche Aufstiegschance angeboten worden war.
Sie lächelte den erschöpft wirkenden Barista freundlich an, nahm das Bestellte und ihr Wechselgeld mit und sah sich in dem überfüllten Lokal um. Tatsächlich entdeckte sie einen Fenstertisch, der gleich frei werden würde, und ging rasch darauf zu. Ein weiteres Zeichen dafür, dass dies wirklich ihr Tag war! Sie hatte das Leben auf ihrer Seite.
Vor sich hinlächelnd, stellte sie ihr Tablett ab, setzte sich und bemerkte dabei, dass sie Gegenstand starken männlichen Interesses war. Mit geheuchelter Unnahbarkeit zeigte sie dem Mann wie zufällig ihr Profil und genoss die Vorstellung, dass er sie so von ihrer besten Seite sah. Sie fuhr sich mit den Fingern durch ihr glattes blondes Haar und zupfte die cremeweiße Bluse von Prada und die honigfarbene Kaschmirweste zurecht.
Sie nahm einen kleinen Schluck Latte macchiato, stellte das Glas ab und spießte ein winziges Stück von dem Schokoladenkuchen auf, den sie sich zur Feier des Tages gönnte – ein viel kleineres Stück, als sie genommen hätte, wenn sie nicht gewusst hätte, dass sie beobachtet wurde. Sie riskierte einen raschen Blick zur Seite, den er mit einem knappen Lächeln quittierte, bevor er sich wieder seiner Zeitung zuwandte. Hm … sehr ansehnlich. Ende dreißig? Nach Craigs kindischer Possenreißerei war jedes Anzeichen für männliche Reife ein echtes Plus.
Hör dir das bloß an! Ein Unbekannter lächelt dir in einem Coffeeshop zu, und du bewertest ihn auf seine Tauglichkeit als Partner! Sie lächelte und spießte ein etwas größeres Kuchenstück auf.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen beobachtete er ihre kleine Pantomime sehr genau. Sah das geheime Lächeln. Registrierte die einreihige Perlenkette, vermutlich von ihrer Mutter geerbt, die weiche Lederhandtasche, die sie achtlos auf den Stuhl neben sich geworfen hatte, die schwarzen Slipper von Gucci.
Er wusste, dass sie in dieser Mittagsstunde am Montag aus irgendeinem Grund sehr zufrieden war. Sein Blick streifte die glatten, gepflegten Hände. Kein Verlobungsring. Bestimmt anspruchsvoll. Für ein modernes Büro angezogen. Mit Lift, Klimaanlage und hochflorigem Teppichboden. Jetzt hatte er es: eine Firma mit Karrierepotenzial.
Er beobachtete sie weiter, nahm weitere Einzelheiten in sich auf, als sie ein silbernes Smartphone aus ihrer Handtasche zog. Der leicht gebräunte Arm, das schlanke Handgelenk mit einem schmalen Goldarmband, die blassgoldene Haut des Handrückens und die schlanken Finger mit sorgfältig gepflegten und polierten rosa Nägeln. Als ihre Aufmerksamkeit wieder ihm galt, griff er nach seiner Kaffeetasse und machte eine kleine Bewegung, als trinke er der unbekannten Blondine zu. Er sah das leichte Erröten, die gesenkten Wimpern und das kleine Lächeln. Nett, sehr nett – einatmen und entspannen … einatmen und e-n-t-spannen. Während er ihre Erscheinung begutachtete, hing er seinen Gedanken nach. Überlegte. Stellte sich vor, wie sie aussehen würde, wenn er ihr Gesicht mit
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