Kalter Schlaf - Roman
Ängstlichkeit in neue Höhen trieb, sodass die zusammengepressten Zähne schmerzten. Dann gewann er seine Beherrschung zurück und verringerte allmählich das Tempo.
Eine Viertelstunde später parkte er auf einer asphaltierten Fläche hinter einem schwach beleuchteten Gebäude. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, schaute er sich um, wobei er darauf achtete, dass sein Gesicht im Schatten blieb. Alles noch ruhig. Er sah auf seine Uhr. Fast Mitternacht.
Er öffnete das Handschuhfach und nahm zwei Gegenstände heraus. Einen warf er auf die Ablage über dem Instrumentenbrett. Den anderen schraubte er auf, bevor er den Kopf in den Nacken legte und blinzelte. Besser. Seine Augen hatten den ganzen Tag wie glühende Kohlen gebrannt. Er sah nochmals in den Rückspiegel, dann warf er das Plastikfläschchen wieder ins Handschuhfach, knallte es zu und lehnte sich zurück, um zu warten.
Keine halbe Stunde später ging die breite Tür des Hinterausgangs der Disco auf. Ein, zwei Minuten später sah er sie inmitten einer Gruppe junger Frauen. Wie jeden Donnerstagabend war sie mit ihren Arbeitskolleginnen ausgegangen. Das wusste er aus den Daten, die er in den vergangenen zwei Wochen über sie gesammelt hatte. Die Mädels gingen donnerstags aus, weil ein paar aus ihrer Gruppe dämliche Freunde hatten, die freitags Anspruch auf sie erhoben. Er kannte sie wirklich .
Er lächelte schwach, blieb tief in den Fahrersitz geduckt sitzen und beobachtete, wie die jungen Frauen sich zum Abschied umarmten und auf die Wangen küssten. Was sie nur daran fanden? Im Lauf der Jahre hatte er gelernt, sich ebenso zu benehmen. Durch bloße Nachahmung. Indem er sich selbst im Spiegel kontrolliert hatte: Oh wie schrecklich! Oh das tut mir leid! Natürlich liebe ich dich, du Schlampe. Jetzt verstand er sich gut darauf. Aber der Sinn dieses Rituals blieb ihm rätselhaft. Seine Lippen kräuselten sich erneut, während er die jungen Frauen beobachtete. Vermutlich hassten sie sich in Wirklichkeit. Vermutlich waren sie darauf aus, einander auf jede nur mögliche Weise auszustechen.
Er beobachtete, wie sie die Gruppe verließ und sich dem Randstein näherte. Jetzt suchte sie die Straße ab. Er zwang sich dazu, nicht zu früh loszufahren. Nachdem sie sich eine Minute lang umgesehen hatte und dabei sichtbar unruhig geworden war, fuhr er langsam an. Hier auf der Rückseite des Gebäudes gab es keine Überwachungskamera, das wusste er.
Komm, Mieze, komm …
Sie hatte den anrollenden Wagen gesehen und ging ihm zögernd ein paar Schritte entgegen. Er ließ die linke Scheibe herunter und wartete, bis sie leicht gebeugt durchs Fenster sah. Er achtete darauf, dass sein Gesicht im Schatten blieb, als die junge, schüchterne Stimme an sein Ohr drang.
»Entschuldigung, sind Sie ein Taxi?«
Er hatte sich nicht im Geringsten anstrengen müssen. Das enttäuschte ihn fast. Sie hatte ihm eine Rolle zugewiesen, die er bereitwillig übernahm.
»Wohin soll’s denn gehen?«, fragte er betont lässig und fügte »Schätzchen« an, damit die Frage authentischer klang.
»Zum Bahnhof. Wie viel?«
Er beobachtete ihr Gesicht, während er einen sehr günstigen Fahrpreis nannte. Sie nickte und wandte sich ihren Freundinnen zu, um zu winken und »Gute Nacht!« und »Bis morgen früh!« zu rufen. Keine von ihnen schien sich im Geringsten für ihn oder sein Auto zu interessieren. Aber selbst wenn sie es getan hätten, wäre er nicht beunruhigt gewesen. Er bezweifelte, dass sie angesichts der herrschenden Lichtverhältnisse eine brauchbare Personenbeschreibung hätten geben können.
Die junge Frau stieg hinten ein, und er ordnete sich mühelos in den nächtlichen Verkehrsfluss, während er sie im Rückspiegel im Auge behielt. Dann sah auch sie in den Spiegel, und ihre Blicke begegneten sich. Sie sah rasch weg. Keiner von ihnen sprach. Er beobachtete sie weiter heimlich. Er war zufrieden mit seiner Entscheidung, die Sache auf heute Nacht vorzuziehen. Er hatte niemals den geringsten Verdacht erweckt. Es hatte niemals brauchbare Zeugen gegeben, und was die Polizei betraf … überwiegend Schwachköpfe.
Er konzentrierte sich auf die Straße, sah aber bald erneut in den Rückspiegel. Sie hatte sich selbst in diese Lage gebracht. Sie war freiwillig bei ihm eingestiegen. Was mit ihr geschehen würde, hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Sie hatte diese Situation geschaffen. Unwiderlegbare Logik. Selbst schuld.
Die junge Frau lehnte sich in die Polster zurück, war vom Tanzen und
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