Kalter Schlaf - Roman
eintreten.«
»Welcher wäre das? Weitere Opfer?«, fragte Julian.
»Nein, mein Junge, für Furman hängt der schlimmste Fall immer mit Finanzen zusammen. Dass mehr Geld ausgegeben werden muss. Je länger er wartet und sich weigert, die wahre Situation einzugestehen und umfassende Ermittlungen anzuordnen, desto mehr Geld spart er. So denkt und operiert der Arsch nämlich.«
Sie beobachteten durch die Jalousie hindurch, wie Furman in einem hellgrauen Anzug, den er bisher nie getragen hatte, in die Kameras sprach und dabei häufig nickte.
Kate runzelte die Stirn. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen …«
Bernie unterbrach sie. »Der Dreckskerl hat sich die Haare föhnen lassen!«
37
Er hockte bei nachlassendem Tageslicht mit starrem Blick auf dem Fußboden und bemühte sich, seine Atmung zu kontrollieren. Sie lag bewusstlos auf der anderen Seite der Werkstatt.
Bei diesem Anblick hatte er völlig die Beherrschung verloren. In diesem Stadium war sie noch in seinem Wagen gewesen, hatte gebrabbelt und nach ihrer Mutter, ihrem Dad, ihrer Schwester, ihrem Freund gerufen, heul-schluchz-jammer! Zugleich hatte sie versucht, ihr Handy rauszuholen, und als er sie aus dem Wagen gezerrt hatte, hatte sie ihn getreten. Dabei hatte er sie gesehen.
Die Schuhe.
Passend zu ihrer Nuttentasche.
Im Halbdunkel hinter der Disco waren sie ihm nicht aufgefallen. Wie konnte sie nur? Wie konnte sie alles ruinieren?
Noch schlimmer: Ohne die High Heels war sie nur …
Er hatte das Gefühl gehabt, ersticken zu müssen, als würde ihm die Brust von Eisenbändern zusammengepresst, und einen Augenblick lang gefürchtet, einen Herzanfall zu bekommen. Er hatte ihr aus nächster Nähe ins Gesicht geschrien – puterrot, mit hervorquellenden Augen und weit aufgerissenem Mund, die Lippen wie Lefzen hochgezogen –, wie widerlich sie war.
Sein Wutanfall hatte sie hysterisch werden lassen. Dann hatte sie sich gewehrt. Wie eine streunende Katze. Bis er sie am Nacken gepackt und ihr seine Faust ins Gesicht gehämmert hatte. Zum Glück hatte sie keine Kratz- oder Beißspuren hinterlassen. Sonst hätte er nicht zur Arbeit gehen können.
Seine Stimme war ein heiseres Krächzen, während er sie erneut betrachtete. »Hey. Hey , du. Schlampe . Was ist los mit dir? Wach auf, ich hab ’ne Überraschung für dich.«
Voller Ressentiments starrte er die bewusstlose Gestalt feindselig an. Dies war eine Lektion. Für ihn . Er hatte für seine Hast büßen müssen. Weil er zugelassen hatte, dass der Druck, unter dem er stand, ihn in eine Lage brachte, in der er’s tun musste. Die Stimmen hatten ihn erinnert und erinnert, bis er nicht mehr klar denken konnte. Nun, damit war die Lektion beendet. Er musste zusehen, so lange es auch dauern mochte, um sich zu vergewissern, dass sie die Voraussetzungen erfüllten. Dass sie wirklich … sie waren.
Während er sie anstarrte – die schmutzige, zerrissene Hose, das zerzauste Haar –, schweiften seine Gedanken ab. Zu einem Film, den er vor Jahren gesehen hatte. Nicht zu einem Film. Zu dem Film. Wann war das gewesen? Er sah zur Decke hinauf, rechnete in Gedanken nach. 1981. Er war damals zehn Jahre alt gewesen. Er hatte ihn sich mit ihr angesehen, war im Halbdunkel an sie gepresst gewesen, sodass ihr schwerer Duft ihm zu Kopf gestiegen war. Wie hatte der Film gleich wieder geheißen? Ah, richtig! The Collector .
Der Film war schon damals ziemlich alt gewesen. Er handelte von einem Mann, der Schmetterlinge sammelte. Er schüttelte missbilligend den Kopf. War das nicht dämlich? Wozu etwas sammeln, das die meisten Leute zertraten? Aber genau das tat dieser Mann. Und dann fing er diese Frau – sie war rothaarig – und sperrte sie in seinem Keller ein. Nicht als Sexsklavin. Nein, nein. Um sie zu besitzen und ihre Schönheit zu erkunden. Im Lauf der Zeit merkte er jedoch, dass sie nicht mehr so gut aussah, weil ihre Schönheit durch das Eingesperrtsein gelitten hatte. Also musste er sich eine neue holen, die so gut aussah, wie sie früher ausgesehen hatte.
Er schaute quer durch den Raum, schüttelte den Kopf über die auf dem Beton liegende, bewusstlose junge Frau. Dieser Mann war der einzige Mensch in seinem ganzen Leben, den er jemals verstanden hatte. Bis auf die Schmetterlinge.
Er begutachtete sie nochmals. Diese hier sah nicht mehr so gut aus.
Er brauchte eine andere.
38
Joe war fort, um die Schießausbildung zu überwachen. Julian war mit Protokollen über Besuche und Vernehmungen
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