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Kalter Schmerz

Kalter Schmerz

Titel: Kalter Schmerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Jameson
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Clare war ebenfalls auf etwas aus, aber sonderbarerweise konnte ich nicht herausfinden, was es war.
    »Sie meinen, Sie finden das unangenehm?«, sagte sie. »Dann seien Sie erst mal mit einigen von denen verwandt.«
    Ich zog eine Grimasse. »Mit meiner Familie läuft es auch nicht mehr gut, wenn wir eng aufeinanderhocken.«
    »Sie haben Familie?« Clare wirkte überrascht.
    »Ich habe … Verwandte.«
    »Ah, so ist das.«
    »Ja, so ist das.« Ich suchte meine Zigaretten, wollte meine Hände unbedingt beschäftigen, dann hielt ich inne. »Sorry, ich gehe nach draußen. Sie rauchen nicht, oder?«
    »Ich tue alles, wenn ich dafür eine Zeitlang mit niemandem reden muss.«
    Ich folgte ihr die Treppe hinunter und durch die Eingangstür, wo sie sich auf die Steinstufen setzte, die zum Haus führten. Nach kurzer Überlegung hockte ich mich neben sie und reichte ihr mein Feuerzeug. Schweigend schauten wir eine Weile auf die Straße, bis ich merkte, dass sie fror.
    »Schon gut, das müssen Sie nicht«, sagte sie, als ich Anstalten machte, mein Jackett auszuziehen.
    »Es nervt mich eh schon den ganzen Tag. Nehmen Sie es.«
    Sie legte es sich um die Schultern und schaute wieder auf die Straße.
    Ich konnte es mir nicht verkneifen, auf ihre Handgelenke und die verblassten weißen Narben zu schielen. Sie hatte sie sich selbst zugefügt, das konnte man sehen. Mir fiel auf, dass ich Clare noch nie mit kurzen Ärmeln gesehen hatte, und ich fragte mich, ob sie noch mehr Narben hatte, an den Oberarmen oder auf den Oberschenkeln. Ich überlegte, ob ich Unebenheiten spüren würde, wenn ich sie berührte, oder ob die Narben mit den Jahren glatt geworden waren.
    »Sie haben keine Kinder, oder?«, fragte sie. »Nichts für ungut, aber das merkt man irgendwie.«
    Ich schüttelte den Kopf, schon entspannter durch die Zigarette und den Alkohol im Körper. »Nein, nie und nimmer.«
    »Wenn ich nur ein bisschen Verstand hätte, würde ich wahrscheinlich sagen: Lassen Sie’s lieber.« Sie lachte. »Bin ich deswegen ein schlechter Mensch? Ich glaube, ja.«
    »Nicht wirklich.«
    »Ach, was wissen Sie schon? Die Leute haben doch nur Kinder, um den Staffelstab weiterzugeben. Man hofft, dass man zusehen kann, wie ein anderer mit den eigenen Problemen besser zurechtkommt als man selbst, aber das funktioniert nie.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Ihre Zigarette ging aus, sie wollte sie erneut anzünden, wirkte nervös. »Nichts, nichts meine ich. Gott, bei Ihnen stehen die Leute wahrscheinlich Schlange, um Ihnen die schlimmsten Sachen über sich zu erzählen.«
    Ich rutschte herum. »Es ist meine Aufgabe, Fragen zu stellen.«
    »Bilden Sie sich nichts ein! Die Leute reden nur mit Ihnen, weil nichts dahintersteckt.«
    »Herrgott, wenn Sie glauben, dass Sie viel besser sind als ich, warum sind Sie dann hier draußen?«, fuhr ich sie an.
    Sie rieb sich die Augen. »Tut mir leid.«
    Ich hatte das Gefühl, sie zu sehr anzustarren, von ihren schmalen Handgelenken über ihre Oberschenkel bis zu den Händen, auf der Suche nach Narben, deshalb konzentrierte ich mich auf die Straße.
    »Nein … tut mir eigentlich nicht leid«, sagte sie.
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Darf ich Sie was fragen? Wollen Sie nie wissen, warum Sie die Aufträge bekommen, die Sie bekommen?«
    Ich drehte mich zu ihr, ihre Augen lagen dunkel hinter dem Marlboroqualm. »Nein, aber wenn die Leute es mir sagen wollen, was meistens der Fall ist, dann stört es mich nicht. Es ist nicht meine Aufgabe, die Menschen nach ihren Motiven zu fragen, dafür gibt es Gerichte.«
    »Genau, dafür gibt es Gerichte.«
    Ich antwortete nicht, aber als ich sie wieder ansah, lächelte sie schwach. Was sie sagte, schien ihr ernst zu sein, doch gleichzeitig spürte ich, dass ihr das Widersprechen Spaß machte.
    »Danke«, sagte sie und zog wieder an der Zigarette.
    »Schon gut, die kostet ja fast nichts.«
    »Nein, nicht deswegen, sondern wegen damals, als Sie zu uns kamen. Das war … nett von Ihnen, würde ich sagen.«
    Ich beobachtete die sich im Wind wiegenden Bäume auf der anderen Straßenseite, um mich von einer sehr lebendigen Erinnerung abzulenken: wie ich auf dem Boden des Aufbahrungsraums in der Leichenhalle kniete und ihre Tränen durch mein T-Shirt spürte.
    »Das war keine große Sache, ich konnte doch nicht einfach abhauen«, sagte ich.
    Schweigen.
    Ich vermutete, wir hatten beide dasselbe im Kopf.
    »Wo ist Pat?«, fragte ich.
    »Keine Ahnung. Wissen Sie, eigentlich ist es mir inzwischen egal.

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