Kalter Süden
hustete.
»Die Zeit läuft nicht gleichmäßig, haben Sie das schon bemerkt? Mit den Jahren vergeht sie immer schneller und schneller. Wie alt wird Suzette inzwischen sein? Fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahre würde ich sagen.«
»Sie wohnt also nicht hier?«
»Bloß manchmal in den Ferien und auch das nur selten. Suzette ist nicht ganz einfach im Umgang.«
Genervt klickte Annika mit ihrem Kugelschreiber. Wenn sie auf etwas allergisch reagierte, dann waren es solche Verallgemeinerungen, dass ein Teenager »nicht ganz einfach im Umgang« sei. Dasselbe hatte man auch über sie gesagt, als sie noch in Hälleforsnäs zur Schule ging.
»Wieso hatte sie dann ein eigenes Zimmer in der Villa?«
»Darauf hat sicher Astrid bestanden. Astrid hatte immer ein Auge auf Suzette, manchmal kommt es mir so vor, als wäre sie die Einzige gewesen, die das Mädchen mochte. Suzette sagte sogar ›Oma‹ zu ihr.«
»Und das war sie in Wirklichkeit also nicht?«
Maj-Lis verstummte und schniefte leise. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme schwach und brüchig.
»Ich kann gar nicht glauben, dass sie wirklich weg ist. Menschen können doch nicht einfach verschwinden. Wohin gehen sie alle? O Gott, ich wünschte, ich wäre Christin.«
Sie schnäuzte sich geräuschvoll.
»Natürlich ist das mit Veronica und Sebastian und den Kindern schrecklich, aber Astrid stand mir sehr nah. Ich kann sie fühlen, ganz dicht neben mir, wie eine Art Wärme, eine Vibration. Warten Sie mal …«
Annika hörte das Ploppen eines Korkens, der aus einer Flasche gezogen wurde.
»Prost, Astrid …«
Maj-Lis trank einen kräftigen Schluck auf die alte Freundschaft.
»Suzette lebt also bei ihrer Mutter«, bohrte Annika weiter. »Wo ist das? Wissen Sie, wie die Mutter heißt?«
»Sebastians erste Frau war ein echter Schuss in den Ofen. Seine Worte, nicht meine. Ich kann mich ehrlich gesagt nicht an ihren Namen erinnern. Aber es muss ein verhältnismäßig einfacher Name sein, hörte sich an wie der Name so einer Softporno-Darstellerin aus den Siebzigern. Sie war seine Jugendliebe vom Gymnasium, wenn ich mich recht entsinne. Ich habe sie nie kennengelernt.«
Sie trank gluckernd.
»Und waren sie verheiratet? Heißt sie vielleicht noch immer Söderström?«
»Und ob die verheiratet waren«, sagte Maj-Lis, »das können Sie ruhig aufschreiben. Die Scheidung war eine richtige Schlammschlacht. Die Frau forderte die Hälfte von Sebastians Einkünften aus den Jahren bei der NHL , aber das war ja genau das Geld, für das er den Tennisclub kaufen wollte …«
»Und Suzette? Heißt sie Söderström?«
»Veronica nahm seinen Namen sofort an. Da gab es ihrerseits keinen Zweifel, sie wollte eine große Familie mit vielen Kindern, und die sollten alle den gleichen Nachnamen tragen, wie eine echte, beständige Kernfamilie …«
Die liebe Maj-Lis am anderen Ende der Leitung war auf dem besten Weg zu einem Schwips.
»Dann bedanke ich mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ob ich mich wohl noch einmal bei Ihnen melden darf?«
»Veronica hat ihr nie verziehen. Niemals!«
»Danke, und auf Wiederhören«, verabschiedete sich Annika und drückte das Gespräch weg.
Sie zögerte, dann rief sie Berits Handynummer an.
Die Kollegin war zu Hause, nicht in der Redaktion.
»Ich mache jetzt Dienst nach Vorschrift. Alle Abende und rote Kalendertage sind frei, Gegenteiliges muss mindestens zwei Wochen im Vorhinein mitgeteilt werden«, sagte Berit in offiziellem Tonfall.
Es hörte sich an, als würde sie gerade irgendetwas schälen.
»Aber«, sagte Annika, »dann habe ich ja auch frei.«
»Gemäß Betriebsvereinbarung, ja«, sagte Berit. »Herzlichen Glückwunsch.«
Ein Wasserhahn wurde aufgedreht, es plätscherte.
»Ich hätte heute die Spielsachen der Kinder auspacken können«, sagte Annika.
»Ist es nicht besser, wenn ihr das gemeinsam macht?«, fragte Berit. »Sonst fühlen sie sich noch, als würden sie im Hotel wohnen.«
Annika wurde stocksteif.
»Natürlich, dass ich daran nicht selbst gedacht habe.«
»Wie gut, dass wir gegenseitig aus unseren Fehlern lernen können«, sagte Berit. »Und, wie läuft es so bei dir?«
»Hast du einen Moment Zeit, um mit mir ein paar Dinge durchzugehen?«
Das Plätschern verstummte.
»Klar«, sagte Berit. Es klang, als würde sie einen Stuhl heranziehen und sich setzen.
»Ich war heute Morgen in der Villa und habe mit dem Handy Fotos gemacht. Ich lade sie gleich auf den Rechner, mal sehen, wie sie geworden sind.
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