Kalter Süden
Und dann bin ich noch auf ein weiteres Kind gestoßen, ein Mädchen im Teenageralter, das den Gasüberfall offensichtlich überlebt hat.«
»Was sagst du da?«, fragte Berit. »Wie ist das möglich?«
»Sie war nicht im Haus«, erklärte Annika, »es ist also nicht so dramatisch, wie es sich anhört. Aber man sollte trotzdem mit ihr sprechen. Sie lebt mit ihrer Mutter irgendwo in Schweden.«
»Das ist ja super. Wer aus der Redaktion übernimmt das?«
»Keiner«, sagte Annika. »Patrik ist einfach darüber hinweggegangen. Er will trauernde Spitzensportler.«
»Das ist eine Fehleinschätzung«, sagte Berit ruhig. »Natürlich kann er seine trauernden Spitzensportler haben, aber ein Kind, das einen Massenmord überlebt hat, ist viel wichtiger.«
Annika atmete auf. Sie wusste es ja, aber es war dennoch schön, es aus dem Mund eines anderen zu hören.
»Hast du das Passwort für die Zentraldatenbank dabei?«, fragte Berit.
»Logisch. Ich recherchiere das von hier aus.«
»Ansonsten bin ich am Freitag wieder im Büro«, sagte Berit. »Wie ist das Wetter bei euch?«
»Einheitsgrau«, sagte Annika. »Da ist übrigens noch etwas.«
»Halenius«, sagte Berit.
»Hm«, sagte Annika.
»Habt ihr wirklich geknutscht? Auf dem Foto sah es so aus.«
»Kein bisschen«, sagte Annika. »Ist das irgendwie wichtig?«
Berit dachte schweigend nach.
»Nach dieser Geschichte wird es nicht mehr so einfach für dich sein, kritisch über Jimmy Halenius zu schreiben«, sagte sie. »Aber es gibt ja genug andere, die das übernehmen können.«
»Ich habe also nicht meine Glaubwürdigkeit verspielt?«
»Ein bisschen vielleicht, aber das geht vorbei.«
»Danke«, sagte Annika leise.
»Denk dran, deine Überstunden aufzuschreiben«, sagte Berit. »Du kriegst sie zwar nicht ausbezahlt, aber dafür kannst du Ausgleichstage nehmen.«
Sie legten auf.
Jetzt war Annika schon etwas leichter zumute.
Sie öffnete die Website infotorg.se , loggte sich ein und wartete, bis die Seite geladen war.
Der investigative Journalismus war keine Herausforderung mehr, seit es Infotorg gab. Der Online-Dienst war zwar sauteuer, aber unerhört effektiv. Über den Account der Zeitung hatte Annika Zugang zu allen Daten jedes schwedischen Bürgers: Name, Alter, Personennummer, aktuelle und frühere Adressen, versteuertes Einkommen, berufliche Stellung, Farbe des Autos, Grundbesitz, Kreditwürdigkeit und eventuelle Schulden. Obendrein lieferte der Anbieter gesammelte Fakten über Unternehmen, Organisationen und Behörden aus Schweden sowie vierzehn anderen europäischen Ländern, von der Jahresbilanz über die wirtschaftliche Lage bis hin zu eventueller Zahlungsunfähigkeit.
Sie klickte auf Personeninformation.
Ein Formular des Einwohnermeldeamts öffnete sich auf dem Bildschirm, in das sie entweder einen Namen oder eine Personennummer eingeben konnte. In diesem Fall setzte sie den Cursor auf »Name«. Söderström, Suzette. Geschlecht: Weiblich.
Den Rest ließ sie offen.
Die Ergebnisliste wies in ganz Schweden nur einen Treffer mit diesem Namen auf. Jannike Diana SUZETTE war vor sechzehn Jahren geboren und wohnte in der Långskeppsgatan 77 in Bromma, Verwaltungsbezirk Stockholm.
Jetzt stellte sich nur noch die Frage, wie ihre Mutter wohl hieß. Die Funktion, mit der man Verwandtschaftsverbindungen anzeigen lassen konnte, war nach dem 11 . September 2001 gelöscht worden. Nun war es deutlich kniffliger, an solche Informationen heranzukommen.
Annika brachte mit einem Klick die Postleitzahl der Långskeppsgatan in Erfahrung, dann suchte sie erneut unter Personeninformation. Diesmal füllte sie drei Kästchen aus: Geschlecht, die Postleitzahl der Långskeppsgatan und den Nachnamen Söderström.
Der Computer suchte jetzt unter derselben Postleitzahl nach einer anderen Frau mit dem Namen Söderström. Wenn Suzette unter der Adresse ihrer Mutter gemeldet war und die Mutter ebenfalls Söderström hieß, müsste sie jetzt auftauchen. Die einzigen Ausnahmen waren die rund 90000 Schweden, deren Personendaten aus unterschiedlichen Gründen geschützt waren oder die eine Deckadresse hatten, also von den Behörden versteckt wurden.
Peng, Volltreffer!
Söderström, LENITA Marike, 42 Jahre alt und in der Långskeppsgatan 77 gemeldet. Laut dem Auskunftsdienst »Svensk Handelstidning Justitia« liefen vier Mahnverfahren gegen sie, und laut Schuldenaufsichtsbehörde hatte sie einen aktuellen Schuldenstand von 46392 Kronen. Keine leitenden Posten in irgendwelchen
Weitere Kostenlose Bücher