Kalter Süden
weiterverfolgen.«
»Spitzensportler sind viel besser. Und sorg dafür, dass sie richtig traurig aussehen.«
Annika schloss die Augen.
»Ich habe keinen Fotografen dabei«, sagte sie.
»Aber du hast doch wohl eine Kamera? Ruf mich an, wenn du die Bilder rübergeschickt hast. Und was ist das überhaupt für eine bescheuerte Idee, nachts mit dem Staatssekretär rumzuknutschen?«
Dann war er weg.
Annika ließ das Handy zu Boden fallen.
So konnte es nicht weitergehen.
Sie stand auf und trat ans Fenster mit dem Ausblick auf die Autobahn.
Es war lange her, dass sie sich in einer solchen Situation befunden hatte. In den Jahren als freie Journalistin war sie darum herumgekommen, sich dem Weltbild der Nachrichtenchefs anzupassen. Stattdessen hatte sie aus ihrer Wirklichkeit berichtet oder genauer gesagt von dem, was sie selbst als wichtig und richtig erachtete.
Aber es war ein Unterschied, ob man eine Wirklichkeit erschuf oder darüber berichtete.
Wenn sich eine Gruppe ehemaliger Spitzensportler entschloss, eine Schweigeminute für ihren verstorbenen Kollegen zu halten, hatte sie kein Problem damit, darüber zu berichten. Aber das Ganze selbst zu inszenieren war eine völlig andere Geschichte.
Sie setzte sich wieder an ihren Rechner und rief die Seite der spanischen Telefonauskunft auf. Sie suchte die Nummer von Sebastian Söderströms Tennisclub sowie die des Golfclubs Los Naranjos heraus und rief bei beiden an.
Der Tennisclub sei geschlossen, antwortete ein Englisch sprechender Mann mit spanischem Akzent. Nein, man habe keine Aktivitäten zu Ehren des toten Besitzers geplant. Ja, er werde anrufen, falls man es sich anders überlegte.
Der Golfclub Los Naranjos hatte ebenfalls keine Zeremonie anlässlich Sebastian Söderströms Ableben geplant, aber er sei ja Mitglied gewesen, eigentlich sei es also gar keine schlechte Idee. An sich eine löbliche Initiative, ja, im Grunde habe man selbst schon am Vormittag in diese Richtung gedacht, vier Uhr, das wäre doch passend …
Nachdem sie aufgelegt hatte, biss sie sich auf die Unterlippe.
Nun hatte sie also die Wirklichkeit auf ihr fünfspaltiges Tabloid-Format zurechtgestutzt.
Sie trat wieder ans Fenster.
Die Wolken hingen so tief, dass sie den großen Berg gegenüber in dicke graue Watte hüllten. Der Verkehr floss wie zäher Brei über die alte römische Reichsstraße.
Wen konnte sie anrufen, um mehr über Suzette herauszufinden?
Sie öffnete die Minibar, entdeckte, dass das Zimmermädchen den Schokoladenvorrat wieder aufgefüllt hatte, nahm ein Snickers und ließ sich aufs Bett fallen.
Knut Garen ging sofort ans Telefon, es hörte sich an, als stünde er in unmittelbarer Nähe eines Wasserfalls.
»Ich bin in Granada«, sagte er. »Rufen Sie Niklas Linde an, der ist noch an der Küste.«
Sie verkniff sich die Frage, was er in Granada machte, und wählte Niklas Lindes Nummer. Nach dem vierten Klingeln nahm er ab.
»Passt gerade nicht so gut«, sagte er leise.
»Nur eine kurze Frage«, sagte Annika. »Kennen Sie ein Mädchen namens Suzette, das in Sebastian Söderströms Villa gelebt hat?«
»Die Antwort ist nein. Ich muss los …«
Annika legte auf. Sie war eigenartig enttäuscht.
Hatten sie wirklich so viel zu tun, oder wollten die Polizisten einfach nicht mit ihr sprechen?
Sie leckte sich die Schokolade von den Fingern, warf die Verpackung in den Papierkorb und setzte sich wieder an den Computer.
Die Seite der spanischen Telefonauskunft war immer noch geöffnet.
Sie gab den Namen der Swea-Frau Margit ein, aber die hatte keinen Eintrag in den Paginas Blancas , bei ihr konnte Annika also nicht anrufen.
Maj-Lis hingegen, die ältere Dame, war eingetragen. Sie wohnte in einer urbanización in Estepona, die sich Los Cuervos nannte. Sie klang, als hätte Annikas Anruf sie geweckt.
»Worum geht es?«, krächzte sie und räusperte sich geräuschvoll. »Warum fragen Sie nach Suzette?«
»Sie hatte ein Zimmer im Haus der Familie Söderström«, sagte Annika. »Wer ist sie?«
»Können Sie einen Augenblick warten?«
Die Frau legte den Hörer beiseite, ohne eine Antwort abzuwarten. Annika hörte, wie sie davonschlurfte, hustete, sich räusperte und ausspuckte. Eine Toilettenspülung rauschte. Dann kam sie zurück ans Telefon.
»Ja, die kleine Suzette«, begann die Frau und seufzte. »Das ist Sebastians Tochter aus erster Ehe. Eine richtige kleine Kratzbürste. Was wollen Sie wissen?«
»Was für ein Mädchen ist sie? Wie alt ist sie?«
Die Frau
Weitere Kostenlose Bücher