Kalter Tee und heiße Kuesse
der Wanne lag und die Wärme ihre vor Kälte schmerzenden Füße auftaute, was mehr als unangenehm war, dachte sie die ganze Zeit darüber nach, was sie sagen und wie sie sich verhalten sollte. Gut, sie könnte einfach so tun, als hätte es diesen Abend nie gegeben, könnte unterkühlt gemeinsam mit Magnus diese komische Hundefutterkampagne vorschlagen. Aber was dann? Angenommen, die Melchior würde vor Freude Purzelbäume schlagen und sie beide für das Projekt abstellen, dann hätte sie Magnus täglich an der Backe. Und das wollte sie auf gar keinen Fall. Was bildete dieser Kerl sich eigentlich ein? Wer war er denn? Irgendein neuer Mitarbeiter, der noch nicht mal Texter war, aber die Melchior mit Sicherheit von früher kannte. Vitamin B eben. Das hatte sie, Lena, noch nie nötig gehabt. Sie hatte alles aus eigener Kraft erreicht, und das war doch etwas, worauf man stolz sein konnte. Mit einem Ruck stieg sie aus der Wanne, trocknete sich ab und zog ihren Lieblingsflanellpyjama an, den mit den kleinen Herzchen drauf. So ein Pyjama war doch besser als jeder Mann. Er wärmte, ohne zu murren, gab keine Widerworte, und wenn man ihn mit Feinwaschmittel pflegte, hielt er lange, ohne zum Arzt zu müssen oder ein künstliches Hüftgelenk zu brauchen. Oder dritte Zähne. Mürrisch stand sie vorm Spiegel und cremte sich das Gesicht ein. Wie sollte sie Magnus bloß gegenübertreten? Was sollte sie sagen? Lena betrachtete ihr Spiegelbild und versuchte, hochnäsig und unterkühlt auszusehen. „Guten Morgen, Herr Reichenbach, ich hoffe, Sie hatten einen schönen Abend. Ach ja, natürlich, wir wollten ja Ihre Idee Frau Melchior vortragen. Wollen wir doch mal schauen, was sie dazu sagen wird.“ Sie sah lächerlich aus. Gut. Dann eben das Ganze furchtbar gelangweilt: „Ach, sind Sie auch schon da?“ (Blick auf die Uhr.) „Wir fangen gewöhnlich um neun an zu arbeiten.“ Und was, wenn er pünktlich war? Nein, das ging auch nicht. Lena legte sich ins Bett und zog die Daunendecke bis ans Kinn hoch. Draußen begannen die Vögel in der Morgendämmerung zu zwitschern. Vor Wut und vor Überdrehtheit würde sie bestimmt nicht einschlafen können. Und wer war schuld? Mister Wichtig, Magnus Reichenbach. Warum hatte der Tee nicht dafür gesorgt, dass er Brandblasen im Gesicht bekommen hatte? In ihrer Fantasie stellte sich Lena vor, wie sie Magnus genüsslich in ein Bad mit Salzsäure tunkte oder ihm im Agenturflur ein Bein so stellte, dass er es sich sechsfach brach. Über diesen Gedanken schlief sie ein.
Zur gleichen Zeit saß Magnus zu Hause in einem Sessel und schaute ins Leere. Er hatte den Fernseher eingeschaltet, aber auf lautlos gestellt, und so bekam er nicht mit, dass es einen neuen Gartendünger gab, der die Rosen so groß wie Kohlköpfe werden ließ, und dass man bei regelmäßiger Einnahme von Plurax-Dragees nie wieder im Leben Angst davor haben würde, eine attraktive Frau anzusprechen, auch wenn man nur einszwanzig groß war und an Ganzkörperakne litt.
Er könnte sich ohrfeigen. Wie konnte er bloß? Zum x-ten Male schloss er die Augen und sah Lenas entsetztes Gesicht vor sich, kurz bevor er sich umdrehte und ging. Wie rührend hilflos sie ausgesehen hatte. Und er hatte sie einfach stehen lassen mitten in der Nacht. Gott, wenn ihr was passiert war! Ob er sie anrufen sollte? Nein, sie war mit Sicherheit – und zu Recht – stinkwütend auf ihn und würde trotz allem jetzt wahrscheinlich schlafen. Morgen würde er sich bei ihr entschuldigen. Nur wie? Wie? Mit einem Strauß Blumen? Nein, das war zu billig. Eigentlich war alles zu billig. Sie würde ihn nie wieder anschauen und wenn doch, dann nur aus beruflichen Gründen. Wie hatte er sich so dermaßen danebenbenehmen können? Magnus stützte den Kopf in die Hände. Früher war er nicht so gewesen. Erst seit der Geschichte mit … ach, nicht darüber nachdenken. Wieso hatte er Lena Sanders geküsst? Was war in ihn gefahren? So was durfte nicht passieren. Er stand auf und lief in der Wohnung herum, wischte den Küchentisch, obwohl der total sauber war, dann ging er zurück ins Wohnzimmer, legte sich aufs Sofa und versuchte zu schlafen. Auf gar keinen Fall, egal was passieren würde, würde er sich noch einmal verlieben. Das war ein Ausrutscher, und der tat ihm auch leid, und er würde sich in angemessener Weise entschuldigen, aber damit war es dann auch gut. Er würde sich privat niemals mehr mit Frau Sanders, ja, Frau Sanders , treffen. Punkt. Und auch nicht mehr über sie
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