Kalter Weihrauch - Roman
Krinzinger …
»Komm, hilf uns auf die Sprünge«, sagte der Chef.
Krinzinger setzte sich gerade hin, endlich fühlte er sich wieder sicherer. »Also, ihr wisst’s doch, wenn man auf der Uferstraße Richtung Mondsee weiterfahrt, dann kommt diese Halbinsel, wo jetzt der Campingplatz ist. Und zu der sagen eben alle Schwarzarabien. Das war schon immer so. Angeblich, weil da vor 100 Jahren die jungen Leut nackt im See gebadet haben und in der Sonne gelegen sind. Das war ja damals richtig skandalös. Nicht alle natürlich, aber ein paar halt. Und die waren dann so schwarz wie die Murln. Ich meine, wie die Araber. Seitdem heißt das bei uns Schwarzarabien.« Krinzinger nahm einen Schluck Tee, aber er war noch nicht fertig. »Und ausgerechnet dort wollen’s jetzt ein Hotel bauen, so einen riesengroßen Kasten. Luxuskategorie! Die Pläne sind schon fertig. Dafür ist extra eine Umwidmung gemacht worden, weil normalerweise darf am Ufer ja nix mehr gebaut werden. Aber wenn so viel Geld im Spiel ist, dann geht auf einmal alles. Und jetzt sind alle ganz narrisch im Ort. Ein paar glauben halt, dass jetzt endlich das große Geld auch zu uns kommen wird, so wie nach Kitzbühel. Und die ganzen reichen Russen! Sogar der Abramowitsch war schon einmal da und hat einen Kaffee getrunken, das ist sogar in den Zeitungen in Wien gestanden. Aber die anderen wollen das ums Verrecken nicht. Weil sie Angst haben, dass dann alles anders wird, und unser schöner See kaputtgemacht wird. Am Montag gibt’s eine öffentliche Gemeindesitzung, da wird’s hoch hergehen.«
»Und wo wird die sein?«
»Im Pfarrsaal, weil so viele Leut kommen wollen!«
»Ah ja«, Pestallozzi nickte. »Jetzt wissen wir mehr, danke, Friedl.«
Sie schwiegen alle drei, nur die Heizung knackte. Draußen fuhr ein Auto vor, wahrscheinlich Gmoser, der von seiner Inspektionstour zurückkehrte.
»Also dann, wir werden jetzt zum Kloster fahren, der Leo und ich«, sagte Pestallozzi und stand auf. Krinzinger erhob sich ebenfalls.
»Kann ich mal aufs Klo?«, fragte Leo.
»Die Tür gleich neben dem Eingang.«
Leo verschwand, sicher war sicher. Dann stapften sie zum Auto, Krinzinger stand im Türrahmen. Pestallozzi drehte sich noch einmal um. »Und wem gehört dieses sogenannte Schwarzarabien?«
Krinzinger grübelte, dann starrte er Pestallozzi an. Er schien selbst verblüfft über seine Antwort: »Dem Kloster! Ja genau, dem Kloster!«
Leo rollte mit den Augen, aber Pestallozzi winkte nur zum Abschied, so freundlich wie immer.
*
20 Minuten später standen sie wieder vor dem hölzernen Tor. Bei Tageslicht sah das Anwesen entschieden weniger unheimlich aus, aber auch nicht gerade einladend, ganz bestimmt nicht. Das Kloster der ›Schwestern vom Heiligsten Herzen Mariä‹ hätte dringend eine Renovierung gebraucht, das war mit bloßem Auge zu erkennen. Ein tiefer Riss zog sich durch die Mauer, das Dach des Gebäudes dahinter war von Moos überwuchert. Leo ließ den eisernen Ring gefühlvoll gegen das Holz scheppern, er wollte auf keinen Fall der Sündenbock sein, wenn dieser alte Kasten plötzlich einstürzte. Schon nach wenigen Augenblicken waren Schritte zu hören, diesmal wurden sie nicht behandelt wie Bittsteller im Schnee. Das kleine Fenster wurde nur kurz zur Seite geschoben, dann öffnete sich auch schon die Tür. Eine Schwester stand im Rahmen, zum Glück nicht die alte Fuchtel von gestern Abend, sondern eine junge Frau, ebenfalls ganz in Weiß gekleidet. Leo starrte sie interessiert an. Was die wohl dazu bewogen hatte, der Welt und den Männern zu entsagen? Womöglich eine Lesbe? Oder gar eine zweite Agota, die …
Die junge Frau trat einen Schritt zurück. »Wir haben Sie schon erwartet. Ich soll Sie gleich zu unserer Mutter Oberin führen!«
Sie betraten wieder den kalten Gang, in den sich ein paar Sonnenstrahlen gestohlen hatten. Heute wurden sie also nicht in das ukrainische Verhörkammerl gebeten, sondern bekamen sogar einen Klosterrundgang geboten. Leo sah sich nach allen Seiten um, der Chef war schon ein paar Schritte voraus. Sie folgten dem Gang, zu dessen Linken sich hinter blankgeputzten Scheiben ein Garten befand, der jetzt fast gänzlich vom Schnee zugedeckt war. Auf den Büschen lagen dicke weiße Hauben, eine Krähe stakste dazwischen herum. Es roch wie in der Kirche und erstaunlicherweise nach gebratenen Zwiebeln. Offenbar ernährten sich auch Klosterschwestern von deftigen Gerichten.
Sie waren nun am Fuß einer steinernen Treppe angelangt,
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