Kaltes Blut
Punkt, wo man nicht mehr kann. Emily hat ihre eigene Familie, und ich wollte mir einfach nicht die Blöße geben und sagen, dass zwischen Sonja und mir nichts mehr ist, nur noch heiße Luft. Ich habe angefangen, genau die heile Welt vorzuheucheln, wie ich es von zu Hause kannte. Ich habe begriffen, dass ich allein war auf dieser verdammten Welt. Allein mit mir und meinen Problemen. Und hätte irgendjemand von meinen Eheproblemen erfahren, sie hätten mit Fingern auf mich gezeigt und mich nur wieder als Versager hingestellt und mir die Schuld in die Schuhe geschoben. Nein, Frau Durant, nie wieder sollte jemand so etwas tun.«
»Das erklärt trotzdem noch nicht, weshalb Sie angefangen haben, Menschen zu töten.«
»Sie haben Recht. Es gibt keine Erklärung dafür und auch keine Entschuldigung. Aber wissen Sie, ich war bei meinem Schwager, er hat mir aus der Hand gelesen und gesagt, dass ich zu Besonderem berufen sei.«
»Sie meinen, jemanden umzubringen ist etwas Besonderes?«
»Ja.«
»Es werden jeden Tag Tausende von Menschen umgebracht, es ist gar nicht so besonders, wie Sie denken.«
»Aber Sie müssen zugeben, meine Methode hat sich doch von den üblichen unterschieden, oder?«, meinte er lächelnd.
Ohne darauf einzugehen, fragte Durant weiter: »Wo haben Sie Kerstin kennen gelernt, und warum haben Sie sie getötet? Wussten Sie nicht, dass ihre Mutter todkrank war und sich auf das letzte Weihnachten mit ihrer Tochter gefreut hatte?«
»Ich kannte sie aus dem Sportverein. Wir haben uns einige Maleunterhalten, und bei unserem letzten Gespräch hat sie erwähnt, dass sie vorhatte, dem Reitclub beizutreten. Da habe ich den Entschluss gefasst, sie zu töten, und zwar auf eine ganz besondere Weise. Das mit der todkranken Mutter wusste ich schon, aber sie wäre ja sowieso gestorben, es war nur eine Frage der Zeit.«
Julia Durant hatte Mühe, die Fassung zu bewahren. Die Kälte und der Zynismus von Achim Kaufmann ließen sie frösteln, die ruhige Art und Weise, wie er sprach, emotionslos, als hätte er alles auswendig gelernt.
»Und dann haben Sie mehrere Jahre vergehen lassen, bis sie …«
»Nein, eigentlich nur zwei Jahre. Aber Mischner ist mir leider in die Quere gekommen. Den Rest kennen Sie, Ihr Kollege hat das vorhin sehr exakt wiedergegeben.«
»Und Frau Tschierke?«
»Sie hätte sich nach Miriams Tod ohnehin das Leben genommen. Außerdem war sie eine Hure.«
»So wie Frau Malkow?«
»Nein, so wie die kann niemand sein! Helena war eine Hure und ein Teufel. Sie hat Menschen systematisch zerstört, sie hat ja nicht einmal vor Kindern Halt gemacht! Sie hat sich immer nur genommen, genommen, genommen! Sie war gierig und unersättlich. Genau wie mein Vater. Die beiden sind sich so ähnlich! Aber Helena hätte von mir aus machen können, was sie wollte, sie hätte sich nur nicht in meine Familie einmischen dürfen. Sie hat alles kaputt gemacht, was mir etwas bedeutet hat. Sie hat meine Familie auseinander gerissen, nur weil sie den Hals nicht voll genug kriegen konnte.«
»Trotz allem, was Sie mir bisher erzählt haben, verstehe ich aber noch immer nicht ganz, weshalb Sie die Mädchen umgebracht haben.«
»Ich habe es doch schon gesagt, ich wollte nicht, dass sie eines Tages so werden wie Helena. Und sie wären so geworden, ohne dass sie etwas dafür gekonnt hätten. Ich habe sie davor bewahrt.«
Julia Durant stand auf und ging zum Fenster, schaute auf dieMainzer Landstraße und drehte sich um. »Was hat es mit der Zahl sieben auf sich?«
»Ich sehe, Sie haben kombiniert. Alle Achtung! Die Sieben ist eine heilige Zahl, und die Quersumme der Buchstaben meines Namens ergibt ebenfalls die Sieben. Und da Andreas mir gesagt hat, ich wäre zu etwas Besonderem berufen … Andreas ist ein Kapitel für sich. Er ist im Grunde seines Herzens ein einfacher Mann, aber er ist auch ein Scharlatan. Er gibt vor, Dinge zu können, die er nicht kann. Das Einzige, was er versteht, ist, innerhalb weniger Sekunden einen Menschen zu durchschauen. Er spielt und verdient sich damit dumm und dämlich. Aber das ist egal, ich will Sie nicht länger mit meiner lächerlichen Geschichte langweilen. Ich habe sechs Menschen getötet, und ich stehe dazu. Mehr habe ich nicht zu sagen.«
»Das Motiv für die Morde bleibt für mich trotzdem immer noch schleierhaft.«
»Frau Durant, das ganze Leben ist schleierhaft.«
»Haben Sie eigentlich ernsthaft geglaubt, wir würden Sie nicht kriegen?«
Kaufmann lächelte wieder und antwortete:
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