Kaltes Blut
siebzehn Uhr, nachdem sie einige Telefonate erledigt hatte, Achim Kaufmann wieder ins Vernehmungszimmer bringen. Er wirkte längst nicht mehr so ruhig und gefasst wie noch am Mittag. Allmählich schien ihm in der kargen, bei vielen Verhafteten Klaustrophobie verursachenden Zelle bewusst geworden zu sein, dass sein Leben weitgehend beendet war.
Das weitere Verhör gestaltete sich einfacher, als Durant sich das vorgestellt hatte. Er zeigte sich äußerst kooperativ, während er seine Aussage auf Band sprach und jede Frage klar beantwortete, und er erzählte seine gesamte Lebensgeschichte. Er zeigte keinerlei auffälliges Selbstmitleid, ganz im Gegenteil, er machte sich vielmehr Sorgen um seine Frau und seine Schwester. Er sagte, er habe Dinge getan, die keiner verstehen könne, nur er selbst, aber es sei gut, dass es vorbei sei. Er betonte aber noch einmal ausdrücklich, niemals im Sinn gehabt zu haben, Gott spielen zu wollen.
Schließlich fragte ihn Durant, woher er das Sperma von Mischner gehabt habe, das man auf dem Slip von Miriam Tschierke gefunden habe.
»Das war nach der Geschichte mit dieser kleinen Nutte Silvia. Er hat mich überrascht, aber ich war eben schlauer als er. Ich habe ihm gesagt, er darf alles mit der Kleinen machen, nur nicht seinen Schwanz in sie reinstecken. Der Typ war so heiß, dass ihm das völlig wurscht war. Er hat sich wie ein Bekloppter einen runtergeholt und den ganzen Kram auf sie draufgespritzt. Der war danach so sehr mit sich selbst beschäftigt, der hat gar nicht mitgekriegt, wie ich mit meinem Schweizer Messer eine kleine Menge seines Spermas abgekratzt und in mein Zigarettenetui getan habe. Damals habe ich nämlich noch geraucht, das vorhin war meine erste seit langem. Zu Hause habe ich es dann sofort in ein kleines Plastikgefäß gefüllt, es luftdicht verschlossen und in das Eisfach gelegt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ichwürde es noch einmal brauchen können. Und ich habe nicht Unrecht behalten.« Bei den letzten Worten lächelte er.
»Ihr Zynismus ist fast schon bewundernswert«, sagte Durant daraufhin nur.
»Aber Sie müssen zugeben, es war clever, wie ich das gemacht habe. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich Mischner eigentlich noch viel tiefer in alle mögliche Scheiße reinreiten können. Aber so fies wollte ich nun auch wieder nicht sein. Na ja, was soll’s.«
Als sich das Verhör dem Ende näherte, wurde er immer nervöser, seine Worte kamen stockend über seine Lippen, und mit einem Mal brach aller Schmerz aus ihm heraus. Er fiel zu Boden, wand sich in Krämpfen wie ein Epileptiker. Ein Arzt wurde geholt, der ihm eine Beruhigungsspritze verabreichte, anschließend wurde Kaufmann wieder in seine Zelle geführt.
Julia Durant fuhr um zweiundzwanzig Uhr nach Hause. Ihr war übel, sie hatte Kopfschmerzen, sie fühlte sich so elend und ausgebrannt wie lange nicht, und sie war wütend, wie leicht manche Menschen zerstört werden konnten. Denn bei dem Verhör stellte sich auch heraus, wie sensibel, fast zerbrechlich der nach außen so stark und manchmal auch zynisch wirkende Achim Kaufmann in Wahrheit war, doch keiner hatte diese Zerbrechlichkeit bemerkt, seine Frau nicht und nicht einmal der so großartige Arzt und Guru Dr. Gerber.
Epilog
Achim Kaufmann wurde insgesamt drei Tage lang von Julia Durant verhört. Am 21. November verurteilte ihn das Gericht zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung, trotz zweier psychologischer Gutachten, die ihm aufgrund starker psychischer und emotionaler Probleme, die schon aus der Kindheit herrührten, verminderte Schuldfähigkeit attestierten. Der vorsitzende Richter schloss sich dem Plädoyer des Staatsanwalts und der Anwälte der Nebenkläger an und sah es als erwiesen an, dass Kaufmann im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte die Morde kaltblütig geplant und auch ausgeführt hatte.
Sonja Kaufmann war während des gesamten Prozesses nicht anwesend, Emily Gerber hingegen verpasste nicht einen Prozesstag. Seine Frau verkaufte noch vor Prozessbeginn im Oktober ihr Haus und zog mit ihrem Sohn an einen unbekannten Ort. Sie hat ihren Mann bis heute weder besucht noch ihm geschrieben. Achim Kaufmann sitzt in Weiterstadt ein, im Hochsicherheitstrakt. Er verrichtet einfache Arbeiten wie Knopflöcher stanzen oder Holzspielzeug herstellen, wofür er fünf Euro am Tag bekommt. In seiner Zelle befinden sich ein Fernsehapparat und eine kleine Stereoanlage und viele Bücher, alles Geschenke seiner Schwester. Sein Vater
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