Kaltes Fieber - Ein Lucas-Davenport-Roman
Chaps, da ihr Laden keine eigene Parkfläche hat, und auf der Straße sind Parkuhren, und der Chaps-Parkplatz ist auch abends hell erleuchtet. Gestern arbeitete sie bis neun Uhr abends im Laden, ging dann ins Chaps, begrüßte den Barkeeper und bestellte ein Glas Weißwein. Der Barkeeper sagt, sie hätte aber höchstens so viel getrunken, dass ihr Mund angefeuchtet war. Ungefähr um zwanzig nach neun verabschiedete sie sich und ging zu ihrem Wagen. Sie kam aber nicht zu Hause an. Ihre Wagenschlüssel haben wir auf dem Parkplatz neben dem Wagen gefunden; keine Zeugen, dass sie entführt wurde, kein Blut oder sonst was.«
Lucas sah sich die Spuren der Fesselung an ihren Handgelenken an. Der Strick, oder womit sonst man sie gefesselt hatte - ja, ein Strick oder ein Seil, dachte Lucas -, war knapp über einen Zentimeter dick gewesen und hatte sich tief ins Fleisch eingegraben und schwarzrote Spuren hinterlassen. »Er hat sie an den Armen aufgehängt«, sagte Lucas.
»Das meinen wir auch«, erwiderte Sloan. Er nickte zum Ufer hinunter. »Komm, wir reden kurz miteinander, okay?«
Sie traten zurück und gingen sechs Meter den Hang hinunter, in die Privatsphäre der Dunkelheit.
Sloan nahm den Hut ab, strich sich das dünne Haar aus den Augen und fragte: »Was meinst du?«
»Schlimme Sache«, sagte Lucas und blickte zurück zu dem Lichtkreis über ihnen. Selbst aus dieser kurzen Distanz sah die Leiche nicht wirklich wie die eines Menschen aus, eher wie ein Kunstprodukt, ja wie ein Kunstwerk. »Der Killer ist ein Irrer. Ihr habt die Freunde der Frau überprüft, oder?«
»Wir haben damit begonnen, aber bislang hat sich nichts ergeben«, antwortete Sloan. »Sie hatte einen Freund, schlief hin und wieder bei ihm, bis vor zwei Monaten. Bis zum Ende des Semesters. Dann fuhr er nach Hause, nach Pennsylvania.«
»Und kam nicht zurück, um sie mal zu besuchen?«
»Nicht, soweit wir wissen - er sagt, er hätt’s nicht getan, und ich nehme es ihm ab. Er war zu Hause, als sie verschwand, wir haben zehn Stunden später mit ihm am Telefon gesprochen, und die Philadelphia-Cops haben auf unsere Bitte hin ein paar Leute über ihn ausgequetscht. Er scheint sauber zu sein.«
»Okay.«
»Er sagt, sie hätten eine ernsthaftere Beziehung gehabt, aber nicht zu ernst - sie wusste von seinen Plänen, nach dem College zur Army zu gehen, und diese Planung gefiel ihr nicht. Ihre Freundinnen sagen, der junge Mann sei ein netter Kerl, sie glauben nicht, dass er etwas mit ihrem Tod zu tun haben könnte. Sie wissen nichts darüber, dass sie mal mit einem anderen Mann zusammen gewesen wäre. Und das ist auch schon alles, was wir bisher rausgefunden haben.«
Lucas blickte immer noch zu der Leiche hoch, auf den Regen, der auf die Cops niederging. »Ich setze auf einen Fremden. Wer auch immer es getan hat, der Kerl wird von einer Fehlsteuerung in seinem Gehirn angetrieben. Er ist ein Irrer. Es geht hier nicht um eine aus dem Ruder gelaufene Liebesgeschichte. Die Art, wie die Leiche da am Hang platziert wurde …«
Sloan sah jetzt ebenfalls zum Lichtkreis mit der Leiche hoch. »Das denke ich auch. Diese verdammte Zurschaustellung …«
Sie schauten einen Moment auf die Szenerie, auf die Cops, die in kleinen Gruppen am Hang und am Flussufer beisammenstanden und über den Leichenfund diskutierten. Sloan und Lucas hatten solche Szenen wohl schon zweihundert Mal erlebt. »Also, was kann ich für dich tun?« fragte Lucas. Er leitete das »Amt für Regionale Ermittlungen« im Staatskriminalamt, abgekürzt SKA, und unterstand der »Abteilung Öffentliche Sicherheit« im Stab des Gouverneurs von Minnesota. Sloan gehörte zur Mordkommission der Stadtpolizei von Minneapolis, deren Angehörige überzeugt waren, dass sie mehr leisteten als jeder dieser unerfahrenen Bürokraten im SKA.
Lucas, der vor seinem Wechsel zum SKA lange Jahre der Mordkommission von Minneapolis angehört hatte, teilte im Prinzip diese Auffassung: Die Mordkommission der Stadt hatte im Jahr sechzig bis achtzig Morde zu bearbeiten, das SKA rund ein Dutzend.
»Du meinst also, dass wir es mit einem Irren zu tun haben?«, vergewisserte sich Sloan.
Lucas wischte sich über die regennassen Augenbrauen. »Ja. Kein Zweifel.«
»Ich muss mit jemandem reden, der sich mit dieser Irren-Scheiße auskennt«, sagte Sloan. »Dem ich Fragen stellen kann, wann immer es erforderlich ist. Auf den psychologischen Berater aus dem Department, einen Grünschnabel, der vor drei Jahren sein Examen
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