Kaltes Grab
natürlichen Geräusche des Hochmoors wieder zu hören, das unaufhörliche Gemurmel des Windes, der den wirbelnden Schnee aufstieben ließ, das Bellen eines Hundes und das Scheppern eines Eimers, so gedämpft und weit entfernt, dass die Welt hinter einem dicken Vorhang verschwunden zu sein schien.
Caudwell drehte sich um und beobachtete, wie Cooper sich aufrappelte und sich den Schnee von der Schulter wischte. Als er den Blick hob, grinste sie höhnisch.
»Nash!«, rief sie. »Benimm dich! Du erschreckst das Wild!«
Cooper setzte sich einen Moment in den Schnee und musterte Caudwell und Nash. Er war ziemlich wütend, durfte aber nicht die Fassung verlieren, da die beiden genau das beabsichtigten. Vielleicht war es ja auch das, was Fry im Umgang mit ihm beabsichtigte.
Als sein Blick auf die Stelle fiel, wo er sich hingeworfen hatte, bemerkte Cooper ein Glitzern im dunklen Torf. Noch ein Stück Aluminium? Er hob es auf und wischte die schwarzen Fasern davon ab, worauf es seltsam weiß schimmerte. Cooper fragte sich, aus welchem Material es bestehen mochte. Es sah aus wie das Bruchstück einer schmalen Strebe und war eindeutig zu spröde, um ein Teil des Rahmens gewesen zu sein. Er hielt es sich an die Nase und schnupperte in der Erwartung des vertrauten Geruchs nach versengtem Metall daran. Stattdessen sog er einen Geruch ein, der ihn vage an Sonntagsbraten erinnerte - an den Duft von Rindfleisch mit Kartoffelbrei und Mohrrüben, wenn er mit seinen Eltern an einem nasskalten Novembertag am Esstisch gesessen hatte. Er schüttelte den Kopf, um die lästige Erinnerung zu verjagen. Vielleicht hielt er ja ein Fragment des Funkgeräts in der Hand. Es sah beinahe wie Bakelit aus, die abgebrochenen Enden körnig und hohl. Aber es war weiß...
Er ließ den Gegenstand zu Boden fallen, als hätte er sich die Finger verbrannt, und stellte fest, dass das Ding unmissverständlich schneeweiß auf dem Torf leuchtete. Entsetzt starrte Cooper es an. Es war ein Knochenstück. Wahrscheinlich nur von einem zurückgebliebenen Tier aus einer Herde auf der anderen Seite des Berges, das von einem Aasfresser weggetragen, abgenagt und hier liegen gelassen worden war. Es sah nicht aus, als sei es der Witterung schon lange ausgesetzt. Trotzdem brachte Cooper es unwillkürlich mit dem in Verbindung, woran er gerade gedacht hatte; als er es in der Hand gehalten hatte, war es ihm wie ein Stück eines der Flieger vorgekommen, die in der Uncle Victor gestorben waren.
»Ben? Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Liz Petty stand über ihm und musterte ihn beunruhigt.
»Ja. Alles klar.«
In Wahrheit jedoch war Cooper einen Augenblick lang in einer ganz anderen Zeit gewesen. Er hatte sich den jungen Flieger vorgestellt, Dick Abbott, wie er durch die zerreißenden und splitternden Metallstreben des Flugzeugrumpfes geschleudert wurde, wie ihm die Gliedmaßen abgerissen wurden, als ihn der Aufprall in die Dunkelheit katapultierte, wo er im Schnee verblutete.
Cooper hatte einmal ein Schaf gesehen, das auf einer nicht eingezäunten Straße durch das Hochmoor oberhalb des Eden Valley von einem Auto angefahren worden war. Einen der Vorderläufe des Tieres hatte es so schlimm erwischt, dass Bruchstücke seines Oberschenkelknochens wie Puzzleteile über den Asphalt verstreut lagen. Doch das hier war viel schlimmer. Hier waren Menschen auseinander gerissen und ihre Knochen zerschmettert worden, und ihr Blut hatte den Torf getränkt. Die Leute sprachen von Männern, die ihr Leben geopfert hatten. Aber das hier war mehr als nur ein Opfer. Er stand am Schauplatz eines Massakers.
Alle hatten Fliegerleutnant Danny McTeague für den Absturz der Lancaster SU-V verantwortlich gemacht, für den Tod von fünf Männern. Cooper fragte sich, was Marie Tennent oder wer auch immer angesichts eines solchen Frevels wohl als Gerechtigkeit empfand.
Als Diane Fry Eddie Kemp gegenüberstand, machte er den Eindruck, als vertraute er darauf, dass nicht genug Beweise gegen ihn vorlagen. Es war die Art Vertrauen, die sich jemand anmaßte, der schon häufiger vernommen worden war, ohne dass sich daraus eine Anklage ergeben hatte, oder der vor Gericht gestellt und freigesprochen worden war. Auch Kemps üblen Geruch konnte Fry nicht mehr ausmachen. Vielleicht hatten ihn die Kollegen in der Untersuchungshaft ordentlich abgeschrubbt.
»Natürlich hat meine Vicky alles von der Sache mit Marie gewusst«, sagte Kemp. »Vicky hatte mich damals rausgeschmissen, also konnte sie sich ja wohl nicht
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