Kaltes Grab
Augenwinkel sah er sie nicken. Sie sagte immer noch nichts. Sie waren auf dem langen Stück Straße, das ins Derwent Valley hinunterführte.
»So ein Gefühl habe ich sonst nie. Ich vermute, es ist wie eine Droge. Es elektrisiert mich, und ich fühle mich lebendig. Es tut gut, zumindest eine Zeit lang.«
Sie nickte wieder, und er bemerkte, dass sie ihn ansah. Er war froh, dass sie schwieg. Er brauchte noch einen Augenblick, um den Gedanken zu Ende zu führen, um die Worte zu ordnen, die sich plötzlich in seinem Inneren drängten und nur darauf warteten, dass er sie aussprach.
»Aber es ist wie mit jeder anderen Droge«, sagte er. »Wenn es vorbei ist, will man mehr davon. Man würde alles tun, egal was, damit das Gefühl wieder kommt.«
Kurz darauf hatten sie Bamford hinter sich gelassen und näherten sich Edendale. Morrissey hatte ihn ganz seinen Gedanken überlassen. Es war ihm langsam peinlich, dass sie ihn jedes Mal dazu brachte, solche Dinge auszusprechen, trotzdem war er froh, sie für sich selbst einmal in Worte gefasst zu haben. Damit hatte er endlich eine Art logische Erklärung für seine Gefühle gegeben, die er sonst nie so recht zu fassen bekam.
»Ich lasse dich beim Hotel raus«, sagte Cooper. »Und tu so etwas bitte nicht noch einmal.«
»In Ordnung«, sagte Morrissey. »Danke fürs Mitnehmen.« Inzwischen klang sie nicht mehr ganz so provokativ, sondern eher kleinlaut. »Ich wollte die Gelegenheit auch nutzen, um dir zu sagen, dass es mir Leid tut, dass ich gestern so wütend auf dich war. Du hast Recht, wenn du dem, was dir jemand erzählt, skeptisch gegenüberstehst. Ich möchte mich entschuldigen.«
»Schon gut. Ich habe inzwischen sowieso die Faxe gelesen.«
»Gut. Da ist noch etwas, das du für mich tun könntest, Ben.«
»Nein«, sagte er.
»Bitte«, sagte sie. »Du weißt, dass die Leute nicht mit mir reden wollen. Ich möchte, dass du noch einmal zu Walter Rowland gehst.«
»Warum sollte ich?«
»Wegen etwas, das meine Großmutter meiner Mutter und meine Mutter wiederum mir erzählt hat. Es geht um eine der Anschuldigungen, die damals gegen meinen Großvater vorgebracht wurden. Aber nicht einmal Frank Baine scheint etwas davon zu wissen. Deshalb möchte ich, dass du Walter Rowland danach fragst.«
»Wonach denn?«, sagte Cooper.
»Ich möchte, dass du ihn fragst, was er über das verschwundene Geld weiß.«
Als Ben Cooper in der West Street versuchte sich aufzuwärmen, hatte er zwei Bilder vor seinem geistigen Auge. Das eine war die eindringliche Vision von den toten und sterbenden Fliegern. Das andere war das Bild der hellroten Mohnblume an dem hölzernen Kreuz, das sich in sein Gedächtnis gebrannt hatte. Sergeant Dick Abbott, 24. August 1926 bis 7. Januar 1945. Wer gab sich so viel Mühe, die Erinnerung an Dick Abbott am Leben zu halten?
Am Nachmittag stöberte Cooper die alten Fallberichte zum Tod der fünf Flieger in den Bezirksarchiven in Derby auf und ließ sie sich zufaxen. Natürlich waren die Ermittlungen zu Klemens Wach, Dick Abbott und den anderen Fliegern mit dem Befund auf Tod durch Unfall abgeschlossen worden. Der Bericht eines technischen Unfallsachverständigen von der RAF besagte, dass die Lancaster bei niedriger Wolkendecke und ansteigendem Gelände ein gutes Stück vom Kurs abgekommen war - die übliche fatale Kombination. Doch es wurde auch die Möglichkeit menschlichen Versagens eingeräumt. Entweder hatte der Navigator dem Piloten einen falschen Kurs angegeben, oder der Pilot hatte die Anweisungen des Navigators ignoriert, was jedoch mit Ausnahme der Beteiligten niemand wissen konnte. Der Navigator war beim Absturz umgekommen, und der Pilot war seither verschwunden.
Die interne Untersuchung durch die RAF hatte den Piloten für den Verlust des Flugzeugs verantwortlich gemacht. Der Pilot trug stets die Verantwortung, egal welchen Rang er bekleidete. Aber niemand schien sich zu fragen, was der Bordingenieur möglicherweise über die letzten Minuten der SU-V wusste. Er hatte den besten Platz, um mitzubekommen, ob der Navigator falsche Berechnungen angestellt oder ob der Pilot versagt hatte. Doch der Bordingenieur war Zygmunt Lukasz gewesen und der Navigator sein Cousin Klemens.
Der Archivar hatte Cooper außerdem die Kopie eines Berichts von der Unfalluntersuchungsstelle des Luftfahrtministeriums durchgefaxt. Sie war von jemandem namens C. I. (Unfallstelle) mit schwarzem Füllfederhalter unterzeichnet und enthielt die Ergebnisse einer detaillierten
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