Kaltes Grab
»Wieso beide?«
»Ich kümmere mich um den Tee«, sagte Cooper.
Er war froh, dass Jasper, der Hund, draußen und nicht in der Küche war. Sein Kläffen klang närrisch und penetrant. Allmählich bekam Cooper Routine darin, in den Küchen anderer Leute zu stehen: zuerst in der von Marie Tennent, in der es intensiv nach Windeln und Sterilisierungsflüssigkeit gerochen hatte, dann in Walter Rowlands spartanisch und zweckmäßig eingerichteter Küche und schließlich in Lawrences kleinem Kabuff im Buchladen. Und nebenan in seiner eigenen Küche in Nummer 8, in der er sich immer noch nicht richtig heimisch fühlte.
Dabei hätte ihn Mrs Shelleys Küche eher an die in Nummer 8 erinnern müssen, da die beiden Räume den gleichen Grundriss und eine ähnliche Aussicht auf den verwilderten Garten besaßen. Trotzdem erinnerte sie ihn von allen Küchen, in denen er gewesen war, am ehesten an die von Marie Tennent. Es dauerte nicht lange, bis er herausgefunden hatte, weshalb.
An der gegenüberliegenden Wand, in der Nische, die in seiner eigenen Wohnung die neue Gefriertruhe einnahm, stand ein Möbelstück, das auf keinen Fall in eine Küche gehörte.
Aber es passte zu den Gerüchen, die ihm, wie ihm mit einem Mal klar wurde, Marie Tennents Küche überhaupt erst in Erinnerung gerufen hatte. Die Gerüche hatten ihn sofort in die Dam Street versetzt, als hätte er wieder die Tür geöffnet und Maries Flur betreten, wie an jenem Tag vor fast einer Woche. Es war, als spielte ihm sein Gedächtnis einen Streich, als hätte er ein Déjà-vu-Erlebnis. Bis auf die Tatsache, dass er genau jenes Möbelstück vor sich hatte, das in sämtlichen Zimmern von Maries Haus so offenkundig gefehlt hatte.
»Was soll ich nur mit ihr machen?«, jammerte Mrs Shelley und folgte ihm in die Küche. »Jasper ist eifersüchtig auf sie, weil sie so viel Aufmerksamkeit bekommt. Deshalb bellt er auch pausenlos. Und wenn Lawrence tot ist, dann holt er sie bestimmt nicht mehr ab, oder?«
»Nein, Mrs Shelley. Und ich glaube, ihre Mutter auch nicht.«
Cooper beugte sich über die Wiege. Die Augen des Babys waren offen, aber es hatte die Hände zu Fäustchen geballt, und das Gesicht war leuchtend rot. Es lag ganz still da. Dann bewegten sich die Pupillen, als versuchten sie, etwas weit Entferntes zu sehen, während sich die Stirn grübelnd in Falten legte.
Schließlich schien das Baby Coopers Gesicht wahrzunehmen. Und Chloe lächelte.
36
W ie so oft hatte sich das Wetter im Peak District innerhalb von achtundvierzig Stunden komplett gewandelt. Sobald es angefangen hatte zu tauen, war alles so schnell gegangen, dass bereits am Dienstag nahezu alle Spuren des Schnees verschwunden waren, mit Ausnahme einiger eisiger Zungen in den Falten des Hochmoors. Das Wasser stürzte von den Bergen, und die Flüsse waren so angeschwollen, dass sie die Brücken wegzureißen drohten.
Ben Cooper fuhr auf den nassen Straßen aus Edendale hinaus und dachte daran, wie anders der Snake Pass an dem Tag ausgesehen hatte, als er mit Sergeant Caudwell zum Wrack der Sugar Uncle Victor hinaufgestiegen war. Damals war der Schnee noch unberührt gewesen und hatte die Sonne so stark reflektiert, dass es in den Augen schmerzte.
Jetzt würde das Wasser im Hof hinter Eden Valley Books in kleinen Bächen von dem Geschützturm und den Motorgehäusen rinnen. Andrew Lukasz' Leiche war längst abgeholt worden, auch wenn die Bergung nicht ganz ohne Schwierigkeiten abgelaufen war. Seine Gliedmaßen waren zusammengefaltet worden, damit er in den Turm passte, und die Leichenstarre hatte die Gerichtsmediziner vor die Frage gestellt, ob sie ihm die Arme ausrenken sollten, um ihn dort herauszubekommen. Aber sie hatten es auch so geschafft, und als sie die Leiche umdrehten, hatten sie das Blut entdeckt, das in den Sitz gesickert war, und die Wunde an Andrews Hinterkopf.
Lawrence Daley tat Cooper Leid. Seine Partner hatten dafür gesorgt, dass er am Tod von Andrew Lukasz mitschuldig wurde. Da Lawrence nicht mehr gegen sie aussagen konnte, würde es schwierig werden, zu beweisen, ob Andrews Sturz von der Feuerleiter ein Unfall gewesen war oder ob jemand nachgeholfen hatte. Vielleicht stimmte es ja, dass sie einfach nur die Tür geöffnet hatten, um ihm den Hof zu zeigen. Die Treppe war schon seit Tagen vereist gewesen, außerdem hatte es gerade erst geschneit. War Andrew also ausgerutscht und gestürzt? Oder war es die einzige Möglichkeit für Baine und seine Freunde gewesen, ihn davon
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