Kaltes Grab
schrecklich, wenn man sich überlegt, was ihr womöglich zugestoßen ist. Aber Marie hätte ihr nie absichtlich etwas getan. Das weiß ich ganz genau.«
»Ihr Arzt sagt, sie hätte sich schon vor der Geburt ziemlich vor dem Leben mit dem Kind gefürchtet.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber das ist nicht dasselbe wie seinem Kind absichtlich etwas anzutun. Ich dachte, dass sie vielleicht besser zurechtkommt, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat, falls man ihn überhaupt als Freund bezeichnen kann. Er war natürlich verheiratet. Nach ein paar Monaten ist er zu seiner Frau zurückgegangen, aber davor hat er unsere Marie noch geschlagen. Was Männer betrifft, hat sie schon immer danebengegriffen.«
Fry beugte sich gespannt vor. »Wer war dieser Freund?«
Im ersten Augenblick sah Mrs Tennent aus, als wollte sie gleich wieder losweinen, doch dann verfinsterte sich ihre Miene.
»Ich habe ihr immer wieder in den Ohren gelegen, dass sie bestimmt einen besseren Mann findet als diesen Kerl. Marie meinte, er hätte immerhin ein eigenes Geschäft. Dabei war er bloß Fensterputzer.«
Die Zahl der zu Befragenden stieg ständig, ohne dass das Personal aufgestockt wurde, das dafür erforderlich war, obwohl eine Hand voll Beamter aus anderen Bezirken nach Edendale abbestellt worden waren. Ben Cooper war mit einer Mappe voller Formulare ergebnislos von Tür zu Tür gegangen, ehe er bemerkte, dass er höchstens einen Kilometer von Underbank entfernt war. Er fragte sich, ob Eddie Kemp seinen Wagen bereits wiederhatte, und arbeitete sich bis zu Kemps Straße vor, wo er feststellte, dass der Isuzu nicht auf der Betonrampe stand.
Cooper war seinem Zeitplan inzwischen fast eine halbe Stunde voraus. Als Nächstes stand der Snake Inn auf seiner Liste, wo er die Aussagen der Angestellten aufnehmen und ihr Gedächtnis hinsichtlich der Fahrzeuge auffrischen sollte, die am Montagabend nach Schließung des Passes an der Gaststätte vorbeigefahren waren. Eine halbe Stunde auf ein Bier in einem gemütlichen Pub hörte sich verlockend an. In diesem Moment klingelte sein Handy. Es war Diane Fry.
»Ben … ich weiß, du hast zu tun, aber ich möchte, dass du dich in einer halben Stunde mit mir vor Eddie Kemps Haus in der Beeley Street triffst.«
»In einer halben Stunde?«
»Schaffst du das?«
»Klar, aber …«
»Marie Tennents Mutter war gerade hier«, erklärte sie. »Rate mal, wer Maries Freund war, bevor er wieder zu seiner Ehefrau zurückgegangen ist.«
»Doch nicht etwa Eddie?«
»Genau der. Marie muss wirklich ziemlich verzweifelt gewesen sein.«
»Vielleicht hat er verborgene Qualitäten?«
»Ja, wahrscheinlich stand sie auf seinen großen Dödel.«
»Meinst du, das Baby ist bei ihm ? Hoffentlich.«
»Na ja, er entspricht nicht gerade meiner Vorstellung von einem idealen Vater.«
»Das nicht«, stimmte ihr Cooper zu. »Aber er ist besser als manche andere Alternative.« Er sah auf das Straßenschild. Eddies Haus befand sich um die Ecke. »In einer halben Stunde, Diane?«
»Ich muss mein Gesicht vorher in einer Besprechung zeigen, deshalb geht es nicht früher. Schaffst du das?«
»Überhaupt kein Problem.«
Nach diesem Telefonat schlug Cooper eine Adresse in seinem Notizbuch nach und wendete den Wagen. Der ehemalige Bergrettungsmann Walter Rowland wohnte nur ein paar Straßen weiter, in einer Straße, deren Häuser wie Vogelnester hoch über Buttercross am Hang klebten.
Rowlands Haustür war einer von zwei schmalen Eingängen, die sich ein hölzernes Vordach mit geschnitztem Blumenmuster teilten. Vor den beiden Cottages stand ein steinerner Aufsteigblock aus einer der früheren Kutschstationen der Stadt zwischen den Resten einiger vom Frost geschwärzter Petunien. Am Ende der Häuserzeile erhob sich ein modernes Gotteshaus, und ein Stück weiter, an der Ecke zur Harrington Street, stand noch eine Kirche, die Cooper nicht kannte.
Die Fenster im ersten Stock von Rowlands Häuschen waren winzig und so schmuddelig und dunkel, dass offensichtlich weder Eddie Kemp noch einer seiner Fensterputzerkollegen in der letzten Zeit mit ihren Leitern und Fensterledern hier zugange gewesen waren. Aus den Rahmen bröckelte der Kitt, und die Fensterstürze waren überall dort reichlich mitgenommen, wo das Wetter große Stücke des weichen, goldfarbenen Sandsteins herausgenagt hatte. Von außen machte das Haus den Eindruck, als sei lediglich das Erdgeschoss bewohnt. Die unteren Fenster waren mit billigem Messingtrödel voll gestopft,
Weitere Kostenlose Bücher