Kaltes Herz
die schweißtreibende Arbeit.
Henriette entfernte sich leise und wartete an der Seitentür zum Hof, durch die sie zum ersten Mal in dieses Haus hineingegangen war, auf Ida. Sie lehnte die schmerzende Stirn gegen das kühle, grün gestrichene Holz und beobachtete Hund, der sie von seinem Platz aus anblickte und traurig den Kopf hängen ließ. Sie wünschte, sie hätte ein Stück Käse für ihn gehabt.
Einen Augenblick später kam Ida hinter den Laken hervor, die sie im Hof aufgehängt hatte, strich Hund im Vorbeigehen über den ergrauten Kopf und winkte Henriette zu.
«Geht es dir besser? Guten Morgen! Worauf hast du Hunger?»
Henriette zuckte die Achseln. Sie hatte keinen Hunger, nicht den geringsten, aber das wollte sie lieber nicht sagen.
«Na, dann setz dich in die Essstube, ich hol dir was.»
«Kann ich dir nicht irgendetwas helfen? Bitte, Ida.»
«Unsinn. Du setzt dich hin. Du bist noch ganz bleich.»
Nachdem Henriette zehn Minuten in dem kühlen, absolut stillen Zimmer an einem glänzenden Nussbaumtisch gesessen und gewartet hatte, voller Fragen und Unbehagen, kam Ida und stellte eine Schale voll Hafergrütze mit Butter und Honig vor sie hin. Der Löffel stand halb aufrecht in der Grütze, und Henriette hatte keine Ahnung, wie es ihr gelingen sollte, davon mehr als zwei Löffel zu schlucken.
Ida setzte sich zu Henriette an den Tisch, blies die Backen auf und rollte mit den Augen.
«Es ist besser, du gehst Mutter aus dem Weg.»
«Was hat sie gegen mich?»
«Sie sagt, du hältst mich von der Arbeit ab.» Ida seufzte. «Was ja auch zutrifft.» Dann grinste sie. «Aber ich bin froh drüber, das kannst du mir glauben. Du hast mir immer noch gar nicht richtig von Berlin erzählt!»
«Glaubst du, dass sie mich hasst?»
Henriette rührte Honig und Butter unter den Haferbrei, aber davon wurde die Masse auch nicht flüssiger.
Ida zögerte. «Ehrliche Antwort?»
Henriette nickte.
«Ich glaube, dass sie dich nicht ausstehen kann», flüsterte Ida und beugte sich dabei weit zu Henriette hinüber.
Seltsamerweise verursachte diese Antwort einen Kloß in Henriettes Hals, den sie kaum hinunterzuschlucken vermochte. Sie war noch nie von jemandem gehasst worden, bisher hatten sie immer nur alle hübsch, rührend, ergreifend, erstaunlich und begabt gefunden, und sie hatte nicht geahnt, wie sehr Zurückweisung schmerzte.
«Aber warum?»
«Ich weiß es nicht. Wirklich nicht. Manchmal denke ich, in diesem Haus sind alle verrückt. Ich meine, stell dir mal vor, du hast einen Vater, der sich Tag und Nacht im Keller versteckt und an geheimnisvollen Dingen arbeitet.»
Ida machte kleine kreisende Bewegungen mit dem Finger neben ihrer Schläfe und verdrehte die Augen, und Henriette musste lachen.
«Darf ich den Haferbrei verdünnen?»
«Ist er zu fest geworden?»
«Ich kann noch nicht so gut schlucken.»
«Warte.»
Ida sprang auf und kam kurz darauf mit einem Krug Milch wieder. Henriette goss sich etwas davon in ihren Haferbrei und rührte kräftig um.
«Ida!», rief Tante Johanne aus der Küche. «Trödel nicht rum!»
Ida seufzte und stand auf.
«Ja, Mutter!»
Dann wandte sie sich Henriette zu. «Arbeiten, beten, arbeiten, beten, keine unzüchtigen Gedanken und Taten, arbeiten und beten. Ich sage ja, alle verrückt hier.»
Damit huschte sie hinaus, und Henriette sah, wie sie mit geraffter Schürze über den Hof zum Waschhaus lief. Dampfschwaden quollen aus der in das große Tor eingelassenen Tür hervor, als Ida sie aufriss, und sie verschwand darin wie in einem verwunschenen Nebel.
Obwohl Henriette Ida in dem Moment vermisste, in dem sie das Zimmer verließ, war sie froh, wieder allein zu sein. Niemand würde darauf achten, ob sie ihren Haferbrei aß. Sie stand auf, nahm die Schüssel und folgte Ida hinaus in den Hof. Zum Glück war Tante Johanne gerade nicht zu sehen, sodass sie nicht versuchen musste, die Schale vor ihr zu verbergen.
Hund verschlang den Haferbrei so hastig, als wüsste er, dass Henriette möglicherweise Ärger bekommen würde, wenn man sie bei dieser Fütterung erwischte. Als er fertig war, kraulte sie ihm die Ohren, doch als sie Tante Johanne aus der Remise kommen sah, stand sie schnell auf, um außer Sicht zu verschwinden. Es war sicher nicht verboten, sich im Hof aufzuhalten, wie könnte es verboten sein, doch Henriette hatte den Eindruck, dass es besser war, Tante Johanne nicht in die Quere zu kommen.
Henriette huschte an den verhängten Fenstern des Westflügels vorbei,
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