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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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ja.»
    Idas Wangen waren gerötet, und sie wirkte nervös.
    «Du, Hetti. Soll ich dir zeigen, was ich mal in einem Wäschesack gefunden habe? Ich habe es noch nie jemandem gezeigt.»
    «Ist es etwas Gefährliches?»
    Ida kicherte. «Mutter würde es sehr gefährlich finden. Vielleicht ist es das auch. Ich weiß nicht.»
    «Was ist es denn?»
    «Ein Buch.» Idas Stimme klang fast ehrfürchtig.
    «Ein Buch?»
    Ida zögerte. «Du darfst es niemandem verraten. Versprichst du es?»
    Was konnte das schon für ein Buch sein, von dem niemand wissen durfte? Sie konnte es sich nicht vorstellen, aber so wie Ida sich benahm, musste es etwas sehr Besonderes sein. Henriette nickte.
    «Ich verspreche es.»
    «Es steckt voller Erkenntnisse und … einer Art Freude, ich kann es nicht beschreiben. Am Anfang war ich sehr erschrocken … willst du wirklich?»
    Wieder nickte Henriette.
    Ida gab sich einen Ruck und ließ sich vor ihrem Bett auf die Knie nieder, tastete mit der Hand darunter, streckte den Arm immer weiter aus, ihre Bewegungen wurden schneller. Schließlich legte sie die Wange auf die kleine Orientbrücke vor ihrem Bett und versuchte, die Dunkelheit darunter mit Blicken zu durchdringen.
    «Oje», stieß sie schließlich hervor.
    «Was ist?»
    «Das gibt großen Ärger.» Ida war den Tränen nahe. «Hetti, es ist fort, jemand muss es entdeckt und genommen haben.»
    Henriette durchzuckte ein Schrecken. Schuldbewusst zog sie das Buch unter ihrer Decke hervor, auf dessen Vorsatzblatt sie ihren geheimen Brief geschrieben hatte.
    «Ist es dieses hier?»
    Idas Kopf erschien über dem Rand von Henriettes Bett, feuerrot und mit Panik in den Augen.
    «Ja!»
    Sie griff danach und drückte es an sich.
    «Hast du es etwa angesehen?»
    Henriette schüttelte den Kopf.
    «Ich habe nur …»
    Ida schien auf eine Antwort zu warten.
    «Ida, ich habe es gesehen, es war nicht richtig versteckt, ich dachte, es ist dir sicher nur runtergefallen. Jedenfalls … kannst du ebenfalls ein Geheimnis für dich bewahren?»
    Ida nickte langsam.
    «Wirst du mir auch nicht böse sein?»
    Idas Antwort klang vorsichtig, abwartend. «Kommt darauf an. Ich versuche es.»
    Nun gut, Henriette seufzte. Es würde ja ohnehin in dem Moment herauskommen, in dem Ida das Buch aufschlug.
    «Ich habe einen Brief geschrieben. An einen Mann.»
    «Einen Liebesbrief?»
    Henriette zögerte. «Ja, es muss wohl ein Liebesbrief gewesen sein. Ich musste ihn heimlich schreiben, weil meine Mutter mich wegen dieses Mannes hierher geschickt hat. Ich soll ihn nie wiedersehen. Aber ich liebe ihn, und ich musste ihm einfach eine Nachricht zukommen lassen, wo ich bin, wo er mich … ich konnte nicht nach Papier fragen, verstehst du?»
    Ida schüttelte den Kopf.
    «Ich habe zwei Seiten herausgerissen.»
    «Was?!» Ida sprang auf die Füße, blätterte hektisch durch die Seiten. «Aus welcher Geschichte?»
    «Es waren leere Seiten. Das Vorsatzblatt und eine der Restseiten hinten. Ich habe keine Geschichte …»
    «Puh!», entfuhr es Ida. Dann lachte sie. «Und du hast wirklich keine der Geschichten gelesen? Hast keines der Bilder betrachtet?»
    Henriette schüttelte den Kopf.
    «Ich hatte viel zu viel Angst, erwischt zu werden. Es musste ja schnell gehen.»
    Ida setzte sich auf Henriettes Bettkante und lachte befreit vor sich hin. Dann nahm sie Henriettes Hand und drückte sie kurz.
    «Weißt du, das ist sehr romantisch. Und es passt gut zu diesem Buch. Es hat sicher nichts dagegen.»
    Sie streichelte über den Einband, als sei es ein treues Tier, das sie liebte und von dem sie wiedergeliebt wurde.
    «Aber wie bist du den Brief losgeworden?»
    «Der Wäschefahrer.»
    «Oje.»
    «Wieso?»
    «Ich hoffe nur, er hat deinen Auftrag auch ernst genommen.»
    Ida öffnete die Schleifen ihrer Schuhe und streifte sie von den Füßen, bevor sie Henriette zur Seite drängelte.
    «Rutsch mal rüber.»
    Henriette machte Platz und ließ Ida mit unter ihre Decke schlüpfen.
    «Ich lese dir jetzt etwas vor. Hör gut zu.»
    Aus dem Leben einer Musterschülerin
    Erstes Kapitel
    Ida blickte Henriette an und sie nickte zum Zeichen, das Ida fortfahren sollte.
    Ich war siebzehn und viel gewachsen in diesem Jahr, meinen Beinen wollte die Schulbank gar zu eng erscheinen, und den ganzen Herbst über seufzte ich dem Weihnachtsfest entgegen, denn gleich nach diesem würden mein Lehrer und ich London und Paris bereisen, Moskau und Venedig; ganz Europa, und nicht mehr die stickige Bibliothek sollte mein Schulzimmer

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