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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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sie dann in einem Zug leer.
    «Ihre Mutter hat bisher immer sehr viel Wert auf ihre Stimmausbildung gelegt. Es war, gelinde gesagt, ein Schock. Völlig unerwartet. Ich habe sie aufgesucht, um sie umzustimmen.» Altheim schüttelte den Kopf. «Ich hatte nie eine talentiertere Schülerin, in meinen ganzen siebzig Jahren nicht, die ich unterrichte.»
    Charlie hatte Altheim auf etwa siebzig geschätzt, aber wenn er bereits so lange Lehrer war, dann musste er zumindest neunzig Jahre auf dem Buckel haben. Konnte das sein?
    «Zweiundneunzig», sagte Altheim mit einem Lächeln, so als habe Charlie die Frage laut gestellt. «Singen hält jung.»
    «Was hat Frau Keller geantwortet?»
    «Sie hat mich des Hauses verwiesen und mir mit Staatsgewalt gedroht.»
    «Mir auch!», sagte Charlie überrascht.
    In seinem Fall war es nicht verwunderlich. Aber weshalb sollte sie Hettis Lehrer bedrohen?
    «Die Sache stinkt doch», sagte er leise.
    «Ich weiß nicht, was genau Sie damit ausdrücken wollen, Herr Jackson.» Altheim wiegte bedächtig den Kopf hin und her. «Doch wenn Sie mich fragen, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht … Frau Keller wirkte beunruhigt. Um nicht zu sagen hysterisch. Sie machte den Eindruck auf mich, als habe sie Angst.»
    Charlie probierte seinen Tee. Er war zu bitter. Vorsichtig stellte er die Tasse wieder ab.
    «Wovor Angst?»
    Altheim sah ihn aufmerksam an.
    «Junger Mann, ich habe erstens den Eindruck, Sie wissen darüber möglicherweise mehr als ich, und ich habe zweitens nicht den Eindruck, dass Sie hier sind, um Fräulein Keller zu einem Engagement in London zu verhelfen.»
    Charlie merkte erst jetzt, dass er sich nicht die geringste Mühe gegeben hatte, wie ein überzeugender Musikagent zu wirken. Also schön. Die Wahrheit. Schlimmer als es bereits war, konnte es ja kaum werden.
    «Sie haben recht. Ich bitte um Entschuldigung. In Wahrheit wollte ich um Henriette Kellers Hand anhalten, doch ihre Mutter hat mir das Mädchen radikal entzogen, hat ihrer Tochter schlimme Dinge über mich erzählt und mich mit dem Hinweis auf die Polizei der Tür verwiesen. Sie hat mir gesagt, Hetti sei dauerhaft … verreist. Ich hatte gehofft, dass das eine Lüge sei, um mich von ihr fernzuhalten. Doch mittlerweile glaube ich, dass sie tatsächlich nicht mehr hier ist. Ihre Mutter verschickt täglich Briefe, und von Hetti sieht man gar nichts mehr.»
    «Und was für Dinge hat sie erzählt, wenn ich fragen darf?»
    Charlie zuckte innerlich zurück. Doch Altheims Augen blickten freundlich, seine Neugier entsprang offensichtlich echter Sorge. Er würde bei der Wahrheit bleiben. Diesmal würde er nicht davonlaufen.
    «Dass ich ein Dieb und Betrüger sei.»
    «Und das ist natürlich erfunden.»
    «Es ist leider wahr. Dennoch bin ich kein Verbrecher.»
    «Dann haben Sie Ihr erklärt, wie sich die Dinge wirklich verhalten?»
    «Diese Chance habe ich leider verpasst. Ich hatte zu viel Angst, Hetti zu verlieren, wenn sie die Wahrheit kennt.»
    Es lag Bitterkeit in Charlies Worten. Er wartete ab, wie Altheim reagieren würde.
    Der lächelte und schenkte sich Tee nach. «Und was noch haben Sie mir über sich zu erzählen, junger Mann?»
    Charlie sammelte sich. Altheims gelassene Reaktion verwirrte ihn. Er senkte den Blick.
    «Ein Mensch ist mir unter den Händen gestorben, und aus Angst, dass man mich verantwortlich machen würde, habe ich mein Land verlassen.»
    «Und macht man Sie verantwortlich?»
    «Ich weiß es nicht.»
    Der alte Mann sah ihn aus Augen an, in denen Charlie Weisheit und Güte sehen wollte, und Charlie war versucht, ihm alles zu erzählen.
    «Aber ich bin der Meinung, dass ein gewisser Herr etwas mit Hettis Verschwinden zu tun hat.»
    «Was für einen Herrn meinen Sie?»
    «Ich kenne seinen Namen nicht, doch er hat Hetti über Wochen beschattet, im Theater, auf ihren Wegen durch die Stadt. Er hat asiatisch geschnittene Augen, spricht jedoch akzentfrei Deutsch, elegante Kleidung, weltgewandtes Auftreten. Wissen Sie vielleicht etwas über ihn, Professor Altheim?»
    Altheim stellte die Teekanne ab.
    «Es tut mir leid, dass ich rein gar nichts über einen solchen Herrn weiß. Aber es beunruhigt mich. Glauben Sie, Fräulein Keller ist entführt worden? Glauben Sie, die Mutter verbirgt diese Tatsache unter dem Druck einer Erpressung?»
    Dieser Gedanke war Charlie in dieser Deutlichkeit noch nicht gekommen, doch jetzt, da er so klar zwischen ihm und Altheim in der Luft hing, wurde die vage Idee, mit der er

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