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Kaltes Herz

Kaltes Herz

Titel: Kaltes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Freise
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ängstlich, dass jemand sie beobachten könnte, und verschwand durch die einzige Lücke, die zwischen Waschhaus und Westflügel aus dem Hof hinaus in die freie Landschaft führte.
    Hinter dem Westflügel lagen zwei nebeneinandergebaute Abtritte. Henriette hatte sich schon gefragt, wo Ida die Nachttöpfe entleerte, hatte sich aber nicht zu fragen getraut. Sie trat die zwei hohen Stufen zum linken Abtritt hinauf, schob den alten Fassdeckel auf das Loch und setzte sich darauf, um ein wenig auszuruhen und alleine zu sein.
    Durch das Guckloch in der Tür konnte sie weit in die Feldmark hinausblicken, und sie genoss den Moment, genoss das Singen des Windes, der um die Häuschen strich und zu den Ritzen zwischen den Brettern hereinpfiff. Nachdem sie eine Weile gelauscht hatte, nahm sie ihre Breischale, um sie im Waschhaus ausspülen zu gehen, dann konnte sie sie später heimlich in den Schrank zurückstellen.
     
    Zwei Stunden nachdem Henriette Ida überredet hatte, im Waschhaus mitarbeiten zu dürfen, damit sie nicht allein und wie auf Kohlen in ihrem Zimmer sitzen und warten musste, warten, dass Heinz Graf kam und seinen Lohn einforderte, warten, dass Charlie kam, um sie zu holen, warten, dass Johanne an ihrem Bett erschien und mit barscher Stimme Anordnungen erteilte, hatte sie gelernt, dass die Lauge in Haut und Nase biss, dass man die Schleudern sorgfältig beladen und verschließen musste und dass die Hitze bei den Kesseln in der Mitte des großen Raumes am schlimmsten war.
    Hier kochten sie die Wäsche noch nach alter Weise aus, der Dampf war heiß und beißend, immer wieder stieg Henriette drei hölzerne Stufen hinauf und warf Arme voll Tischwäsche in das kochende Wasser, während Maria sie mit einem langen Stecken unterstukte, bis die großen, bauchigen Luftblasen kleiner wurden und der Stoff endlich versank. Lebendige Maden krochen über Henriettes Hände, tote Maden trieben auf der kochenden Lauge, und immer wieder nahm Henriette eine Art übergroßen Schaumlöffel zur Hand und schöpfte sie ab.
    «Salz», sagte Ida, und gab Henriette zwei Tabletten in die Hand und einen Becher Wasser dazu.
    «Die musst du nehmen, weil dein Körper hier in der Hitze zu viel davon verliert.»
    Henriette wischte sich mit der Schürze über ihr heißes, nasses Gesicht, sie wusste nicht, ob es Dampf war oder Schweiß oder Tränen, jedenfalls fühlte sie sich am Ende ihrer Kräfte, und ein Schluchzen entkam ihrer Kehle, als sie versuchte, die Tabletten hinunterzuspülen.
    Es ging nicht, es tat einfach zu weh, ihr Gesicht, ihr Hals, alles war immer noch viel zu sehr geschwollen. Eine Tablette, geschweige denn zwei, im Ganzen zu Schlucken war einfach ein Ding der Unmöglichkeit, und als die Tabletten anfingen, in ihrem Mund zu zergehen, war der Salzgeschmack derart beißend, dass Henriette nichts übrigblieb, als zum Wasserfass zu stürzen, das neben der Eingangstür stand, und mehrere Becher hinterherzutrinken. Als sie wieder ein wenig zu Atem gekommen und die Tränen abgewischt hatte, die ihr aus den Augen geschossen waren, stand Ida neben ihr.
    «Komm mal mit», sagte sie. «Du brauchst eine Pause, und ich will dir etwas zeigen.»
    Sie führte Henriette zu einer Tür unter der Treppe, die nach oben in die Plättstuben führte. In der Kammer dahinter war es luftig und kühl, es gab ein vergittertes Fenster, das einen Spaltbreit offen stand und wie die Abtritte in die Weite der Felder hinausblickte. Henriette atmete auf.
    «Hier kann man eine Pause machen, ohne dass Mutter es mitbekommt», sagte Ida hinter ihr. «Ist das nicht phantastisch?»
    Henriette drehte sich um.
    Ja, phantastisch war es in der Tat. Die Wand hinter Ida war nicht mehr zu sehen, so viele Gegenstände lagen hier auf Brettern nebeneinander und übereinander. Henriette sah Teddybären, Puppen, Bücher, Schmuck, Uhren, Bestecke und Kannen, Laternen, Messer und Scheren, ein Klistier, Monokel und Brillen, Vasen, Soldatenmützen, eine Querflöte, Aschenbecher, Teller und Tassen und einzelne Schuhe … Es sah aus wie in einem Pfandleihhaus mitten in Berlin.
    «Wir finden oft etwas in den Wäschesäcken, Dinge, die beim Bettenmachen übersehen wurden. Man muss aufpassen, dass einem nichts ins Wasser fällt. Wir hatten mal ein schwarzes Mieder in der Kochwäsche, die haben wir nicht mehr weiß bekommen, und solch ein Chirurgenmesser in einem Waschautomaten könnte eine Katastrophe sein.»
    Ida hatte eine blitzende Klinge aus dem Regal genommen und hielt sie sich dicht vor

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