Kaltgeschminkt (German Edition)
laut auf. Dann noch einmal, aus Selbsthass und weil ich sie trotz allem so sehr vermisse. Hektisch zücke ich unter den erschrockenen Blicken der Passanten ein paar Geldstücke und steuere die nächste Telefonzelle an. Noch in derselben Stunde mache ich einen Besichtigungstermin mit dem Hausverwalter und nehme den nächsten Zug gen Norden. Ich ziehe mir den Hut über die Augen und bin seit langer Zeit ruhig und zuversichtlich.
Es ist prachtvoll. Einfach eine Augenweide. Die völlig mit steinernen Insignien verzierten Mauern laden mich ein, die breiten Stufen zu ihnen zu erklimmen. Selbst die titanischen Wolken über dem Grundstück können mein freudiges Erstaunen nicht trüben.
Mr. Storm, ein kleiner Mann nahe den Siebzig, hat hinter mir Stellung bezogen und beobachtet mich gespannt. Er folgt mir, als ich hinaufsteige und mich im Foyer drehe wie Alice im Wunderland. Man kann mich nur selten aus der Fassung bringen, doch diese fremdartige Welt ist einfach nur großartig.
Meine Hand wandert über chinesische Schränkchen aus blutrotem Lack, weiße Spiegelkommoden aus den gotischen Zeiten, Portraits mit atemberaubend schönen Frauen und drakonisch aussehenden Männern mit tiefliegenden Augen über den zottigen Schnauzbärten. Das Licht strahlt unwirklich, hält die Zeit in einem zähen, bläulich schimmernden Honig fest, zaubert ein Strahlen auf die tanzenden Staubflocken um mich herum. Ich könnte weinen, es ist einfach nicht wahr. Im Salon bleibe ich vor dem riesigen Kamin stehen und die absurde Menge an Holzvorräten, die man für seine Fütterung benötigen wird, interessiert mich so sehr wie Mr. Millers Tod.
»Und? Was sagen Sie?«, fragt Mr. Storm hinter mir.
»Es raubt mir den Atem.«
»Sie werden … äh … renovieren müssen. Der westliche Teil ist kaum beziehbar, bis auf ein Zimmer.« Verstohlen schiebt er eine zerrissene Korsage unter ein Schränkchen. Erst jetzt fällt mir auf, dass der Boden mit Gerümpel übersät ist.
»Wir waren nicht mehr hier, seit … nun ja.«
Er sucht nach Entschuldigungen für die Vermüllung.
»Ich nehme es.«
Er stutzt kurz, dann kramt er in seiner Ledertasche und fördert raschelnd einen Briefbogen hervor.
»Der verkohlte Trakt allein wird wohl kaum den Preis rechtfertigen. Geben Sie schon zu, dass es sich bei dem Kies vor dem Haus um Knochensplitter handelt«, flachse ich.
Er lächelt freundlich. »Nun, da Sie es bereits selbst herausgefunden haben … Nein, Mr. McLiod. Der Grund ist, meine Frau und ich haben ein großes Haus, keine Bälger, die wir durchfüttern müssen. Wir sind sozusagen absolut frei. Dieses Manor hat meine Frau vor Jahren gekauft, in der Absicht, es in ein Hotel umzubauen. Nun, Frauen sind wankelmütig. Wenige Tage später hatte sie das Interesse daran verloren. Jetzt muss das Ding weg. Ab und an muss man etwas Stärke zeigen, nicht?«
»Dann hoffe ich, sie wirft mich morgen nicht wieder hinaus.«
»Das haben wir im Vorfeld geklärt. Zur Not bekommt sie ein Neues. Schließlich haben wir Geld genug.«
Er bleckt seine Dritten und ich empfinde Sympathie für diesen kleinen Mann.
»Womit verdienen Sie denn ihr vieles Geld?«, frage ich.
Er knetet nervös seine Hände und hebt schließlich grinsend den Blick. »Wir sind Bankmanager. Recht praktisch, da die Gratifikationen umso höher sind, je tiefer man die Branche in die Misere reitet.« Wieder das breite Grinsen. Er ist die Cheshire-Katze.
Mr. Storm hält mir den Vertrag mit der lächerlichen Kaufsumme unter die Nase und tippt auf die Stellen, die ich unterzeichnen soll.
»Am besten mit ihrem Blut«, raunt er in gespieltem Ernst und schlägt mir schmerzhaft auf die Schulter. Es brennt wie tausend biestige Feuerameisen, allerdings werde ich einen Teufel tun und unter dem Klaps eines Siebzigjährigen zusammenklappen.
Er drückt mir seine Karte und einen Schlüsselbund in die Hände. Sympathischer alter Kauz. Auch weil er höflich genug ist, mein zerschlagenes Gesicht zu ignorieren. Ich bedanke mich und beobachte im Nieselregen wie der Gute davoneilt. So rauscht Mr. Storm in seinem Aston durch den verwilderten Wald zurück gen Zivilisation.
Allein und wunderbar einsam besichtige ich meine neue Welt. Die nächsten Wochen verbringe ich in hemmungsloser Selbstverwirklichung. Zwar hätte ich mir auch einen Putzservice leisten können, denn die Miller‘sche Geldquelle ist noch lange nicht versiegt, aber ich habe das Gefühl, das Manor wäre allein meines, wenn ich ihm selbst zu neuem Glanz
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