Kaltgeschminkt (German Edition)
gewichen. Und als mich Miller fortschickte, ist sie mitgekommen. Die beiden haben sich wohl schon ’ne ganze Weile gekannt. Also teilen wir seit einigen Jahren das Haus, die Arbeitsstelle und auch sonst alles – außer dem Bett. Sie hat sich eine kleine Gemeinschaftswohnung in der Stadt genommen. Davon hast du sicher schon was mitbekommen.« Er erhebt sich ächzend, streckt den Rücken durch. Instinktiv stehe auch ich auf. Er legt die Hand in meinen Nacken, es fühlt sich sehr falsch an, so mit dem Rücken zu ihm zu stehen.
»Ich will dir was zeigen.«
James geht an mir vorbei in einen kleinen Raum, dessen alles beherrschendes Regal bis unter die Decke voll mit Büchern ist. James greift zielsicher nach einem Buch und mehreren in Papier eingeschlagene Alben. Er dreht ein paar alte Lampen auf, die an den Wänden angebracht sind, bis ihr gelbliches Licht unserer Haut eine ungesunde dumpfe Farbe verleiht. Er stützt sich mit den Händen auf dem kleinen Stapel ab. »Was hat sie dir erzählt?«
»Über was?«
Skeptisch erforscht er meine Augen, ob ich lüge. Ich halte seinem Blick stand. Schließlich habe ich kaum etwas zu verbergen und das Wenige in mir, das ihn eine feuchten Hundefurz angeht, kann ich gut in der Tiefe meiner kargen Seele vergraben.
»Über mich, zum Beispiel. Oder über sich selbst, zur Abwechslung.«
Ich zucke die Schultern. »Nein.«
Er wartet ab.
»Ach ja. Sie erwähnte deine Leidenschaft für etwas explizitere Fotografien. Und damit meint sie sicher keine lustigen Straßenschilder.«
Seine Augen werden zu schmalen Schlitzen. »Weißt du, die Toten sind bei mir gut aufgehoben. Ich bin der Einzige, der sie so vorbereiten kann, dass sie auch jenseits der Grenzen noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind. Ich bin ein Held. Ich helfe ihnen. Mache sie im Grunde ja nur zu dem, was ihnen schon zu Lebzeiten am Wichtigsten war. Es ist, als wenn ich nach dem Reinigen, Frisieren, Drapieren und Kleiden die fast leeren Hüllen der toten Körper auffülle . Ihre inneren Taschen mache ich voll. Sehr voll. Bis über die Nähte mit dem, was ihnen stets am wichtigsten gewesen war: sich selbst.«
Einen Moment stehen wir uns gegenüber. Jeder mustert den anderen. Reflexartig rechne ich meine Chancen aus, wie schnell ich diesem Übergeschnappten eines überziehen kann. Sonderbarerweise fürchte ich mich jedoch nicht vor ihm. Ich deute stumm auf die Alben unter seiner Hand. Wortlos klappt er eines auf. Ich beuge mich darüber und sehe einem Pärchen in die fahlen Gesichter, das auf einer mit Blüten geschmückten Schaukel sitzt. Der Mann, mittleren Alters, ist groß und kräftig, wahrscheinlich noch relativ frisch. Er trägt einen Frack und sitzt mit übergeschlagenen Beinen und einem lässig auf der Lehne ausgestreckten Arm da. Die Augen wurden bereits zugeklebt, das Kinn hängt unter den fixierten Lippen ein wenig herunter. Neben ihm lehnt lasziv eine magere Frau in rotem Bustierkleid und großem Wagenradhut. Eine Stola windet sich um ihre Schultern. Zwei Strähnen fallen auf den Seiten in ihr dezent geschminktes Gesicht. Es erscheint seltsam, dass ihre Augen locker geschlossen zu sein scheinen und die Lippen leicht geöffnet sind. Auf seinem Schoß hat die Frau ihre Beine ausgestreckt; lange, schmale Beine, ein wenig zu dünn. Und behaart. Ich stolpere würgend zurück. Eine heiße Welle des Entsetzens spült durch meine Eingeweide. Ich taumle, halte mich an der Tischkante fest. Aus halb geschlossenen Augen werfe ich noch einen Blick auf das Foto. Kein Zweifel, die Frau ist James. Zittrig blättere ich durch die dicken Seiten. Dort lehnt ein älterer Herr an einer Wand, gestützt durch eine Eisenplatte. An seinen Schläfen prangen zwei gewundene Hörner, wie von Widdern. Sie müssen direkt in den Schädelknochen gebohrt worden sein. Der Mann trägt einen Nadelstreifenanzug mit Einstecktuch und Gamaschen. Lediglich um seinen Hals liegt ein dickes Seil, das sich ein Mann mit zurückgegeeltem Haar um die Handgelenke gebunden hat. Auch in ihm erkenne ich James, strahlend und stolz. Es rauscht in meinen Ohren, dennoch … getrieben von dem perversen Drang, noch mehr von diesen Abscheulichkeiten zu sehen, klappe ich die nächste Seite auf. Eine mir bekannte Frau im Endstadium der Verwesung lehnt in einer Chaiselongue. Die Haut ist bereits grau, hängt schlaff um ihren ausgemergelten Körper. Das einstmals blondierte Haar liegt zwar in sanften Wellen um ihr Gesicht, jedoch sieht man deutlich, dass es trocken
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