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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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wie Stroh sein muss. Die Schminke macht aus ihr beinahe die Farce einer Puppe. Ich erkenne eine ehemalige Konzernleiterin in ihr, mit Hang zu ganz besonderen Finanzierungsmöglichkeiten. Das ganze Bild ist im Stil der Zwanziger Jahre gehalten. Dementsprechend trägt sie ein Hängekleidchen mit dünnen Trägern und Pumps. Zu ihren Füßen kniet ein junger Mann, James, der eine Hand unter ihrem Rocksaum versteckt hält. Angewidert schlage ich das Album zu. Ich kann James nirgends entdecken, spüre jedoch seine Anwesenheit. In einem Schatten entdecke ich ihn schließlich, wie er sich in die Zimmerecke drückt und mich ängstlich beobachtet.
    »Je einen Teil der Seele pro Foto«, sagt er. »Das ist mein ganz persönliches Nirwana. Mein Lohn, den ich mir selbst nehme, um ihnen zu schaden. Warum? Weil es in meiner Macht liegt. Und so zeige ich ihnen Ihre Grenzen auf, damit sie nicht mit mir ihr Unterdrückerspielchen spielen wie mit dem alten Miller.«
    Wie Unrecht er hat! So hat er sein eigenes Ende verschuldet. Wie dumm, zu glauben, dass die Drei es weder bemerken, noch sich dafür rächen würden.
    »Wer hat die Fotos gemacht?« Reflexartig denke ich an Rachelle.
    »Ich.«
    Glücklicherweise reißt er sie nicht mit in sein Verderben. Und ich nehme an, sie hätte sich ohnehin geweigert, ihm zu assistieren.
    »Du hast es versaut, Beastly.«
    Er lächelt schwach. »Denkst du, ich will diese Momente mit jemandem teilen?«
    Steifbeinig halte ich auf ihn zu und – gehe in die Knie. Dort, zwischen seinen Beinen, erbreche ich mich mehrmals. Es scheint, als würde ich alle Angst und Zweifel mit einem Mal aus meinem Körper entlassen. Als ich mich wieder aufrichte, hält er das Buch schützend vor sich. »Das ist ein guter Teppich.«
    Forsch entreiße ich ihm den Wälzer. »Was ist das? Noch mehr irrwitzige Hobbys? Zimmererarbeiten aus Knochen?«
    »Interessant, aber nein.«
    »Warum tust du das?«
    Für einen Moment zögert er. »Findest du nicht auch einige Dinge, bizarre Dinge, so … interessant … so faszinierend, dass du sie dir immer ansehen möchtest, egal für wie widerlich oder krank sie die Anderen halten?«
    »Die Anderen …«
    Keinerlei Verständnis habe in für ihn und seine gesellschaftlich untaugliche Vorliebe.
    »Sag, Harris, ist es nicht genauso widerwärtig, wenn sich nach einem tödlichen Unfall die Menschentrauben an den Opfern weiden? Oder, dass tausende von Voyeuren zu den `Körperwelten` pilgern, weil sie dort aufgeschnittene und gehäutete Körper völlig legal und ohne missbilligende Blicke anstarren können. Dann nennt man es eben Kunst zum Zweck der anatomaren Bildung.«
    Eine seltene Wut steigt in mir auf. Nur mit größter Mühe halte ich sie zurück, um James nicht zu Brei zu schlagen. »Es reicht jetzt!«, kann ich gerade noch keuchen. Dann mache ich mich davon, das Buch fest an meinen Oberkörper gepresst, wie einen wenig schützenden Schild. In meinem Rücken löst sich mein Kollege, der eine Schmach für unseren ohnehin missverstandenen Beruf ist, von der Wand. Einen Augenblick zögere ich, da ich mit einem Angriff rechne. Doch er bündelt nur seine verteufelten Fotoalben.
    »Lies das«, sagt er, und meint das Buch in meinen Armen. »Wenn du mich schon für krank hältst, solltest du erst mal ihr Geheimnis sehen.« Er lacht röchelnd und ich bin mir jetzt sicher, dass er den Verstand schon vor langer Zeit verloren haben muss. Aber wer kann es ihm verübeln? In einer Welt ohne Regeln wie dieser, wo seltsame Todeswächter über alles bestimmen, was von uns bleibt. Wo halbmenschliche Todesboten ihre zweifelsfreien Vorlieben zur Maskerade nutzen und die Frauen dem männerfressenden Sukkubus gleichen.
    Nachdem ich den übergeschnappten Leichenfetischisten in seinem Kämmerchen sich selbst überlassen habe, sitze ich in meinem vorrübergehenden Zimmer und wage mich nicht an das angebliche Geheimnis, das Rachelle umgeben soll. Unentschlossen starre ich auf das alte Sagenbuch zwischen meinen Beinen. Meine Finger streichen in immer gleichen Bewegungen über die stark abgeschabte Leinenbindung. Einen Moment lang will ich es fortwerfen und einen Dreck darauf geben, was mit dieser wundervollen Frau vielleicht nicht stimmen mag. Nur einen Moment, denn in der Regel ist immer etwas faul an den Frauen, zu denen ich mich hingezogen fühle. Also hebe ich mit einem flauen Gefühl in der Magengrube den Buchdeckel.
    Wie wahnsinnig hämmere ich mit der Faust an Rachelles Tür. Ich höre laute Musik drinnen und

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