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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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hämmere noch lauter, um den Bass zu übertönen. Beinahe hätte ich einem Goth mit in die Stirn gekämmtem Haar sein Bataillon an Lippenpiercings aus dem Gesicht geboxt, der genervt die Tür aufreißt. Ich verlange nach Rachelle und er wagt gar nicht zu fragen, wer ich bin. Da ich zu höflich bin, einfach in die Wohnung zu stürmen, warte ich ungeduldig draußen, halte jedoch zur Sicherheit einen Fuß in die Tür. Rachelle schwebt in wogendem Rock und Korsage auf mich zu, so dass ich beinahe meine Wut auf sie und ihre Falschheit vergesse. Das vertraute Gefühl der plötzlichen Ablehnung mir gegenüber schwebt zwischen uns und bohrt sich in meinen Magen. Dennoch ist es mir unmöglich meine Gefühle zu ihr zu vergraben. Scheinbar ist die masochistische Seite an mir erneut zum Vorschein gekommen. Ich reiße mich zusammen und verlange ein Gespräch unter vier Augen. Sie bemüht sich nicht einmal, verwirrt drein zu schauen, zerrt mich gleich in das kleine Schlafzimmer nach oben. Die Bude stinkt nach Hasch und ich atme durch den Mund, um nicht schwach zu werden. An Rachelle selbst bemerke ich jedoch keinen Grasgeruch. Der Gothic-Junge beobachtet mich aus halbgeschlossenen Augen. Ich sehe mich kurz um, außer ihm kann ich niemand anderen ausmachen.
    »Wer ist das?«, verlange ich zu wissen. Doch Rachelle eilt einfach weiter. Sie schließt die Tür sorgfältig ab und mustert mich mit jenem kühlen Blick, den ich bei Frauen allzu gut kenne.
    »Was weißt du und woher?«, will sie eiskalt wissen. Zur Antwort halte ich ihr das Buch vor die Nase, die Seite aufgeschlagen, auf der das nette Bild einer furienartigen Blutfee mit glühenden roten, unwirklich vergrößerten Augen und einem aufgerissenen, schmalen Raubtiergebiss prangt. Ein Wraith , ein Geistwesen, welches nach Blut lechzt, wie ein Verdurstender nach einem Liter heißer Milch in einer endlosen Wüste. Diese hier schwebt kreischend über einer kargen irischen Landschaft, die Finger zu Krallen gekrümmt, den Körper umweht von spärlichen Streifen aschegrauer Kleidung und wild wehendem schneeweißem Haar. Über dem Kunstwerk steht groß
    Die Liannan Shith (f) / Leannan Sidhe (m)
    Ich sehe sie so fragend an, wie ich nur kann, und deute auf den bequem aussehenden victorianischen Sessel der da in einer Ecke vor sich hin staubt. Sie bleibt stocksteif stehen. Und was dann folgt, ist eine allzu unglaubliche Geschichte aus dem Munde einer überaus entrückten Frau.
    Rachelle´s Geburt als Blutfee
    Ich renne um mein Leben. Äste zerreißen mir die dünne Haut an den Armen, dort wo man stahlblaue Adern blitzen sieht. Sie schlitzen mir die Wangen auf, zausen mir das spinnenfeine Haar, als ich mehr durch das Dickicht fliege, das einst meine Zuflucht war; meine Schwester, mein Geheimnis mit all ihren Geheimnissen.
    Deshalb flüchtete ich mich in ihre undurchdringliche Blätterflut, in der Hoffnung, dass sie mich verbirgt, dass sie mich aufnimmt in sich, damit mir niemand etwas tun kann – nie mehr. Dennoch ist sie diesmal nicht auf meiner Seite, so scheint es. Sie verrät mich mit jedem Knacken unter meinen baren Sohlen und mit jedem Rascheln ihrer Blätter, wenn mein Haar sich in ihren Ästen verfängt oder mein schweres Kleid oder mein Blick, der stets nach hinten schweift, obwohl er nicht sollte. Die schwindelerregend hohen Schuhe mit den unpraktischen Schleifen habe ich am Rande des Waldes von mir geworfen. Ebenso wie den Überrock dieses vermaledeiten Brokatkleides. Unzählige Häkchen, Schleifchen und Knöpfchen musste ich losbinden, loshaken (äußerst mühevoll bei einer hautähnlichen Anpassung von Kleidern wie dem meinen) und notfalls abreißen, was mir ehrlich leid tat und mich wertvolle Sekunden meines Vorsprungs kostete. Wie dumm, dass ich mich trotzdem immer wieder umsehen muss. Nicht häufig, aber trotzdem immer wieder. Als ob ich sie sehen könnte in den dunklen Schemen des Waldes, der sie mehr schützt als mich. Als ob sie ihr Gebrülle allein nicht schon verraten würde. Ich bleibe an einer Dorne hängen oder etwas, das sich so anfühlt, als es mir in die feine Haut am Hals fährt und mich zwar nicht besonders heftig, aber lang genug mit seinem Widerhaken stoppen kann. Ich bin außer Atem. Ich lasse mich von meiner Freundin Wald aufhalten, sinke langsam auf die Knie. Einen Augenblick lang, welchen ich nicht habe, verschnaufe ich und reibe mir das Gesicht. Verrückterweise richte ich mein Haar, das sich während der Hetzjagd gelöst hat. Nun hängt es mir in

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