Kaltgeschminkt (German Edition)

Speicherstadt vor dem Hamburg Dungeon (mit Gutschein: zwei Seelen zum Preis von einer!) mit ein paar verrückten Schwarzen - unter ihnen ein deutlich jüngerer James mit Topfschnitt – posiert. Im Hintergrund baumelt ein Skelett in Lumpen in einem krummen Käfig. An allem zweifeln ließ mich das letzte Foto. Es zeigt einen, zwar deutlich jüngeren, jedoch unerkennbaren Mr. Miller nach einem Vortrag an der Cambridge University mit ein paar jungen Studenten. Unter ihnen, mit Pony und schulterlangem Haar und erstaunlicherweise in einem roten Sommerkleid, meine zukünftige Ehefrau. Eine minimal jüngere Rachelle hat sich bei Miller eingehakt und lächelt kokett dem Fotografen zu. Auf dem unteren Rand steht schwach aber noch immer deutlich lesbar: 1974. Zum Glück schwankt der Boden inzwischen nicht mehr, dennoch vermeide ich diesmal vehement den Blick auf die Bilder. Flatternd gleiten sie zu Boden und meine Angebetete schwankt leicht wie in einem überraschenden Windstoß. Ich sage kein Wort.
    Endlich öffnet sie die trockenen Lippen. »Entschuldige«, haucht sie.
    Nach einem Blick in ihre nassen Augen, gehe ich auf sie zu und presse sie fest an mich. Ihre Tränen durchdringen bald mein Hemd, trotzdem frage ich mich keinen Moment, ob sie mir etwas vorspielt. Es kümmert mich nicht – momentan nicht. Forschend sehe ich ihr in das verweinte Gesicht, welches sie verschämt vor mir zu verstecken versucht. Bestimmt hebe ich ihr spitzes Kinn an, doch ihr Blick gleitet an mir vorbei. Ich beschließe, sie nicht gehen zu lassen.
    »Bin ich dir etwas wert?«, frage ich deshalb, um ihr noch eine Chance zu geben.
    Sie nickt heftig.
    Ich führe sie zum Bett und lege sie sanft darauf. Dann setze ich mich neben sie auf den Bettrand. Ihre Finger krallen sich um meine.
    »Dann sag mir die Wahrheit, bitte.«
    Und sie erzählt. Von dem Tag, als sie James das erste Mal sieht, in Hamburg bei einem Grillabend bei Freunden. Wie sie sich in den scheuen Schotten verliebt, ihm zuliebe nach Schottland, dem Geburtsland ihrer Mutter, eine Bewerbung schickt und sich mit allen Mitteln um einen Platz in jener Schule bemüht. Mit alten Kindheitsfreunden neuen Kontakt knüpft. Und wie sie dort auf das Geheimnis stößt, das ihre Familie seit langer Zeit hütet. Der Name ihrer Vorfahren in der Keltenzeit war CapallNaClachan, die gälische Version des Namens Hammerstein. Die Familie stammte aus einer sehr alten Verbindung zwischen Schotten und Germanen, so dass sie in Archiven und alten Ahnenforschungen bald ihre Spur verlor. Warum sie überhaupt nachgeforscht hatte? Nun, im Elternhaus ihrer Mutter ist noch immer die flatternde Liannan Shith in den Stein geschlagen. Es erschien ihr nur natürlich, nachzufragen. Damals schon war ihre Mutter für den Staat über neunzig, auf dem abgelaufenen Ausweis zwanzig Jahre zuvor ebenfalls. Der Mann, für den sie aus ihrer Heimat nach Deutschland gekommen war, wo sie Ende der Fünfziger auch ihr Kind zur Welt brachte, längst unter der Erde. Langsam wurde es Zeit für einen erneuten Wohnwechsel. Auch Rachelle altert langsamer als der Rest von uns. Inzwischen hat sie ihre Mutter jedoch ebenfalls überlebt. Noch heute kann sie sich nicht erklären, warum die Frauen ihrer Familie dieses schwere Los gezogen haben, für welches Hollywoodschönheiten tausende ihrer Dollars ausgeben – lange, blühende Jugend und Schönheit. Aber auch Blutdurst.
    »Die Liannan Shith - die wenigen männlichen nennt man Liannon Sidhe - sind nicht unsterblich«, erklärt sie mir. »Sie leben sehr viel länger, oft doppelt oder dreimal so lang wie ein gesunder Mensch.«
    Ich schlage erneut in dem Bestiarium nach. Liannan kommt von Leannan , dem gälischen Wort für Schätzchen, Liebling oder – im schlimmsten Fall – Konkubine. Shith stammt von Sidhe ab, was bedeutet, `von den Feenhügeln´. Sie gilt allgemein als Muse und Geliebte, die ihren Liebsten zwar in seinem Tun inspiriert, sich jedoch im Gegenzug von ihm nährt. Etwas Blut oder gar ein wenig Fleisch reichen oftmals für einige Wochen aus. Somit braucht sie das Leben des Geliebten auf. Oftmals wissen die … nun … Opfer davon, manchmal nicht. Letzteres trifft allerdings nur für den Fall zu, dass er ihre Liebe erwidert. Leider nicht für Rachelle und James.
    »Die Blutfeen bemühen sich um die Zuneigung von Sterblichen. Wenn der Geliebte sie allerdings ablehnt, muss sie ihm fortan dienlich sein. So ist es bei mir gewesen. Ich war ihm leider irgendwann nicht mehr genug.«
    »Wie