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Kaltgeschminkt (German Edition)

Kaltgeschminkt (German Edition)

Titel: Kaltgeschminkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rona Walter
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Fingern unter den klammen Stoff. Plötzlich horche ich auf. Es ist völlig still. Ihre herben Schritte sind verklungen. Vielleicht haben sie kapituliert. Vielleicht warten sie auf ein verräterisches Geräusch meinerseits.
    Trotz des Krampfes in meiner Brust und meinem rasselnden Atem, den ich panisch zu unterdrücken versuche, konzentriere ich mich und horche. Auf den Regen, der inzwischen einsetzt, als ob ich nicht schon fertig genug wäre. Auf den Wind zwischen den Ästen. Können Sie mich riechen, frage ich mich plötzlich. Ich hebe den Kopf, schließe die Augen, um sensibler zu sein, und biete mein Gesicht dem Himmel über mir dar. Ich höre nichts mehr. Vielleicht haben sie aufgegeben … aber ein ›vielleicht‹ ist nie besonders viel wert und Spekulationen ohnehin ein Resultat von Naivität.
    Da ich zwar Vieles aber sicherlich nicht Letzteres bin, gebe ich mir noch einen Moment Zeit, bis ich mir sicher bin, dass ich allein hier sitze, inmitten von Moos und nassem Laub. In der Ferne höre ich schwach die Geräusche der mechanischen Welt. Ein zaghaftes Hupen, das Surren der Hochspannungsleitungen wenige Meilen von hier am Waldrand. Ein bellender Hund, auf dessen Gekläffe ein Fuchs keifend antwortet. Der rote Jäger sitzt neben mir, so nah, dass ich ihn berühren kann. Ich strecke zaghaft die Finger in seine Richtung aus. Es ist nicht nötig ihn anzusehen. Ich spüre seine Präsenz und er meine. Er weiß, dass ich nicht zu seinen Feinden gehöre.
    Dies ist nicht der victorianische Nord-Osten Schottlands. Es ist eine überaus moderne Zeit, in der ich nun lebe. Motorisierung und Digitalisierung haben Maschinerien ersetzt, von denen ich stets angetan war. Meine Lieblingsmaschine war der Dampfkessel der klugen Herren, die ihn schlicht überall einbauten. In Schiffe und Lokomotiven, und den Mr. Maryhope, unser Valet, in den Topf der Küchenhilfe Tuppence montierte. Somit wusste die Gute, wann genau die Erdäpfel viel zu weich für den Herrn waren. Ich lächle in dieser unpassenden Situation in mich hinein. Schnell muss ich mich zur Ordnung rufen, mein Leben steht immerhin auf dem Spiel. Das vergesse ich zuweilen, da ich wieder einmal gejagt werde. Seltsam, dass es mir heute, mehr als zwei Jahrhunderte später, erneut passiert. Anfangs dachte ich, die Zeit hätte sich geändert, die Menschen wären weniger abergläubisch und schreckhaft und vor allem weniger neugierig, was sich in anderer Leute Häuser abspielt. Oder wie sie aussehen. Schreckhaft wie eh und je. Doch ich muss feststellen, dass das Gegenteil der Fall geworden ist. Wann hat die Menschheit Anonymität und Recht auf Individualität abgeschafft?
    Es bleibt still. Ich bin allein mit dem Fuchs und einigen Tierchen, die sich nicht an mich heran wagen. Anders als zu der Zeit, in der ich Jahrhunderte zuvor in ebendiese Lage geriet. Als ich mit gebrochenem Knöchel und blutend in den Büschen lag, knabberte mich dieser stinkende Dachs an. Ekelerregend. Damals fand Lady Merrily heraus, dass ich durchaus keine silbrige Perücke tragen würde und der Schleier aus schwarzer Spitze, den ich stets vor meinen Augen zu tragen pflegte, nie auch nur ansatzweise ein Modetrend aus London gewesen sei – sie habe extra an Ort und Stelle nachgefragt. Als sie dies diskret wie stets während eines Balls, beziehungsweise meines Tanzes mit Sir Fahy (öffentlich überaus charmant, kühl, und arrogant jedoch sehr leidenschaftlich wenn man unter sich ist) vor versammelter Gesellschaft darlegte, verlangte Sir Fahy schmunzelnd von mir, den Schleier abzulegen. Nun, ich weigerte mich natürlich. Selbstredend. Da riss mir die dumme Pute Merrily das edle Garn vom Gesicht und ich konnte die Augen nicht mehr rechtzeitig niederschlagen. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte meine rote Iris unter meinen Wimpern hervor, ehe ich sie rasch hinter fest geschlossenen Lidern verbarg. Sir Fahy bedeckte geschockt seinen wundervollen Mund mit einer Hand. Sogleich kopierte ihn die speichelleckerische Gesellschaft, allen voran und in unpassender Lautstärke, Merrily. Ihn habe ich nur noch einmal gesehen, und zwar an vorderster Front seiner Hetzkameraden, als er mich mit Fackeln und gezückten Degen durch den Wald jagte. Auch damals verlor ich ein Paar überaus entzückender und abgesehen davon sündhaft teurer Schuhe. Lady Merrily hingegen sah ich noch mehrmals. Einige Male, in denen ich sie schreckensbleich und wenig später um einige Liter ihres neidischen Blutes erleichtert in ihren weichen

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