Kaltgeschminkt (German Edition)
kann das sein?«, frage ich ehrlich verblüfft.
»Nicht schön genug, nicht versaut genug, oder schlau genug. Gesellschaftlich untauglich. Was weiß ich denn.« Eine Träne rinnt über ihre gerötete Wange. Ich nehme mir vor, sie später fortzuküssen, eine Weile muss ich jedoch noch Härte zeigen.
»James ist Jäger … und vor allem ist er Sammler. Er verliert schnell das Interesse an seiner Beute. Verachtungswürdig schnell. Das wusste ich zu dieser Zeit nur noch nicht. Nach einigen Wochen habe ich ihn gefragt, ob er mit mir zusammen sein will. Erst war er erfreut und hat mich kaum mehr von sich fort gelassen. Aber bald habe ich gemerkt, wie er kühler geworden ist, mehr Abstand gesucht hat. Dann, eines Abends, hat er zu mir gesagt, dass er mich nicht mehr liebt und nicht weiß, ob er das überhaupt je getan hat. Er braucht Freiheit und eine Frau reicht ihm nicht.« Sie senkt den Kopf, versteckt das Gesicht hinter einem Vorhang aus Schwarz. »Mir ist das Herz gebrochen! Ich habe gewusst, was mit mir jetzt passiert. Dass ich nie, nie wieder von ihm loskommen kann. Egal, was kommt.« Sie schluchzt leise. Ich suche ihre hellen Augen hinter den weichen Strähnen. »Heute liebe ich ihn längst nicht mehr. Ich hasse ihn! Ich wünschte, er würde endlich verrecken.«
Ihre harten Worte schrecken mich nicht ab. Unpassender Weise bin ich geschmeichelt, dass sie nach dieser Misere mir gegenüber ihre Liebe bekundet hat. Es ehrt mich und macht mich gleichzeitig schuldig, weil ich genau sagen kann, dass ich sie irgendwann enttäuschen werde. Schließlich bin ich alles andere als perfekt; ein rauchender, saufender und ständig die Arschkarte ziehender Fehler. Dennoch möchte ich um nichts in diesem Höllenloch auf sie verzichten. Energisch werfe ich meine Vorsätze, hart zu bleiben, über Bord und ziehe sie an mich. Fest schmiegt sie sich in meine Umarmung.
»Ich hab dich nicht verdient, Harris.«
»Ich dich auch nicht. Wirklich nicht.«
»Ich weiß.« Sie lächelt schwach.
Zärtlich küsse ich sie, darauf bedacht, nicht in die Nähe ihres feuchten Näschens zu kommen. Möglichst unauffällig taste ich mit meiner Zunge über ihre Zähne, doch keiner ist gefährlich spitz oder abnorm lang. Sie drückt mich von sich fort, sieht mich komisch an. Tadelnd schüttelt sie den Kopf. »Sei kein Dummkopf, Harris. Hast du allen Ernstes Hauer oder Reißzähne erwartet?«
Ertappt und gedemütigt fühle ich meinen Magen rebellieren. Eilig schüttle ich den Kopf, versuche mich an einem verwirrten Gesichtsausdruck, der natürlich nur kläglich scheitern kann.
»Die passen doch gar nicht zu meinem Outfit«, sagt sie und tätschelt mir die Wange.
Der Fluchtgedanke ist ein überaus stark ausgeprägter Charakterzug bei mir. Er ist ebenso übermächtig wie der häufige Gedanke an Notlügen oder der Bewaffnung mit peinlichen Haushaltsgegenständen, wenn ich in den unbeleuchteten Keller gehe.
»Du solltest nicht weglaufen!«, tadelt mich meine Liebste. »Ein echter Mann bleibt und kämpft!«
Zur Bekräftigung nickt sie einmal kräftig.
»Wer redet denn vom Weglaufen? Rückzug ist eine taktische Strategie, um zu günstigeren Bedingungen erneut zuzuschlagen. Aus dem Hinterhalt wenn möglich. Und was würdest du schon mit einem, zwar wahnsinnig mutigen, aber dann offensichtlich toten Freund anfangen? Hä? Hä?«, schiebe ich ein paar rhetorische Fragen nach.
Sie streichelt sanft mein Kinn. »Ich wäre eine stolze Witwe, deren Mann bei der Schlacht sein Leben gelassen hat. So heldenhaft wie möglich, wenn es geht.«
»Ich bevorzuge es, in den Armen einer wunderschönen Frau zu sterben.«
»Dahinzuvegetieren, meinst du. Welche Frau würde schon einen siechenden Schwächling in ihrem Schoß liegen haben wollen?«
»Viele.«
»Wahrscheinlich auch noch daheim im Bett«, murrt sie verächtlich.
Selbstverständlich nicht. Wer will schon bei sich zu Hause sterben? Hätte ich die Wahl, ich würde einen Divan in einer Drogenhöhle bevorzugen. Eine halb bekleidete – oder besser eine halb nackte – Rachelle bei mir, weinend hinter einem schwarzen Spitzenschleier verborgen, mit nichts am Leib außer aufopferungsvoller Liebe und entrücktem Schluchzen. Dabei kommt mir noch ein anderer Gedanke. »Wenn du hungrig bist, was tust du dann?«, will ich wissen, noch bevor ich erneut ein Bett mit ihr teile.
»Ich suche mir eine Stelle auf James´ Körper, an der er erst möglichst spät entdeckt, dass ich an ihm war. Meistens fällt es ihm doch auf und
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