Kaltstart
modern! Die narzisstische Kränkung muss verarbeitet werden, und Babbage bietet genehme Auswege: Ein unerträglicher Mensch sei er gewesen, ein krankhafter Perfektionist und Eigenbrötler, dazu arrogant bis zur Hybris. Er, im Nebenberuf als politischer Reformer und Polemiker tätig, habe jedes Gespür für die Schwierigkeiten vermissen lassen, die die enormen Entwicklungskosten seiner Maschine in politischer Hinsicht verursachten. Vielleicht war es ja so. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht fühlte sich die Mehrzahl der Menschen, die damals mit seinen Ideen überhaupt in Berührung kamen, so wie ich, als ich unvermutet mit Frieders TRS 80 konfrontiert wurde: überfordert bis zur totalen Blendung durch das schlechthin Fremde. Die meisten von ihnen werden erleichtert gewesen sein, als er scheiterte und aufgab, Schadenfreude über den Sturz des “Spinners” mag sich unter diese Erleichterung gemischt haben, die bis heute nachwirkt: Was wäre gewesen, wenn sie sich durchgesetzt hätten? [16] Bei all den Klagen über die “Schnelllebigkeit”, den zu hohen “Innovationsdruck”, die Rasanz der Entwicklung, glauben die meisten heute immerhin, dass sie in interessanten Zeiten leben. Man braucht nicht zu verstehen, was geschieht, das Bewusstsein davon, dass etwas geschieht, und möglicherweise etwas ganz Außergewöhnliches, durchschießt das Futter unseres Alltags wie ein roter Faden, und natürlich auch bei denen, die den guten alten Zeiten hinterher trauern. So wie heute war es nie, und selbst wenn man darunter leidet, so nimmt man doch zumindest als Zuschauer an diesem Modernisierungsolympia teil. Wenn Babbage und Lovelace sich durchgesetzt hätten, fiele das schwerer. Wir wären Nachläufer, Spätfrüchte, die Verwalter von Leistungen einer Avantgarde des letzten Jahrhunderts. Wir wären Zuspätgekommene.
Etwas ähnliches, nur mit Blick auf die Zukunft, geschieht, wenn Kinder an unseren Computern sitzen. Man kann gerne den Versuch aufs Exempel machen. Jeder Computerbesitzer, der ein Kind mit dem eigenen Computer spielen oder arbeiten sieht, weiß genau, dass dieses Kind über diese spezielle Maschine in zehn Jahren von Herzen lachen wird. Dasselbe Kind wird in zwanzig Jahren vielleicht sogar über das ganze Konzept lachen. Wenn seine Eltern gestorben sind; wenn es selbst alt wird, wird es Maschinen geben, die sie nicht einmal erahnen konnten. Der Anblick eines Kindes an der Tastatur eines Computers verursacht seinem Besitzer ein spezifisches Unbehagen, denn er macht ihm seine doppelte Antiquiertheit klar: Die Menschen haben verloren, das mag Günther Anders in den Fünfzigern schon diagnostiziert haben, aber ich habe auch verloren, ich persönlich, so sehr ich mich auch bemühe. Für mein Kind werde ich obsolet sein, Schnee von gestern; worauf ich so stolz war, wird eine Lachnummer sein. Der Igel hat schon gewonnen, so sehr wir auch rennen.
Frau am Gerät
Manchmal hört man, Frauen seien anders. Ihnen gerieten Computer nur zu Werkzeugen, nie zu Fetischen. In der Arbeit seien sie ergebnisorientiert und nicht auf Repräsentation und Rechthaberei bedacht, Kollaboration mit anderen Computernutzern gerate ihnen nicht zu verkrampfter Konkurrenz, sondern zu echter Zusammenarbeit. Das wird vor allem auch gerne von Frauen geglaubt, die zwar selbst noch keine Computer nutzen, aber über die Verrenkungen ihrer männlichen Partner am Keyboard lächeln. Ja wenn ich das in die Hand nähme! Das sähe alles gleich ganz anders aus! Bei mir gäbe es diese nächtelangen Sitzungen nicht! Ich würde nicht so oft an dem Teil herumbasteln! Mir würde auch ein gebrauchtes Gerät reichen! Oh rührende Mythen des Alltags. Es ist faszinierend zu beobachten, dass besonders jener von der weiblichen Computervernunft im Alltagstest schmilzt wie Schnee an der Sonne. Die allgemeine Rollenprägung der Frauen, dass sie nämlich Technik nicht so wichtig nehmen und Männern den Kampf überlassen sollen, spielt noch eine Rolle, wenn es nur ein paar Briefe an Ämter zu schreiben gilt, aber wehe, es stehen echte Werte wie berufliche Karriere, Geld oder Macht auf dem Spiel. Sofort verwandelt sich die Frau in den besseren Mann. Ich habe während meiner glorreichen Zeit in der Computerindustrie eine ganze Menge Frauen gesehen, die es an Ramboqualitäten mit jedem männlichen Systemadministrator aufnehmen konnten, und da war alles geboten, von der professionellen Einschüchterung männlicher wie weiblicher Kollegen vor dem Bildschirm bis zum Mitlesen
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