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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Tatsache, dass sich drei Studenten eine Lagerverwalterwoche teilten, sorgte dafür, dass ich etwa zwei- bis dreimal pro Arbeitstag den gesamten Warenbestand nach einem Parallelkabel oder einem ganzen verlorenen PC durchsuchen musste. Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass sowohl ich, als auch meine Kollegen ständig unter Diebstahlsverdacht standen, obwohl zwei Videokameras, die mit der Wachschutzzentrale verbunden waren, den Arbeitsplatz ständig im Blickfeld hatten.Meine zweite Hauptaufgabe bestand darin, in relativ nackte Grundsysteme gewisse Komponenten hineinzuschrauben, die die Extrawünsche der innerbetrieblichen Kundschaft befriedigen sollten, so zum Beispiel mehr Arbeitsspeicher, ein zusätzliches CD-Rom-Laufwerk, eine zweite Festplatte. Außerdem musste ich die Rechner auf ihre Funktionstüchtigkeit prüfen, was hauptsächlich durch die Installation des Betriebssystems geschah. Ansonsten surfte ich im Internet, denn auch die Workstation hatte einen Anschluss.
    Eine der Hauptschwierigkeiten bei diesem Job bestand darin, dass es oft stundenlang überhaupt nichts zu tun gab, während zu Stoßzeiten drei bis vier Leute gleichzeitig an der Lagertür erschienen, und jetzt endlich ihren Rechner haben wollten. Recht häufig stürzte T., der Abteilungsleiter, mit verzerrtem Gesicht und leicht manischem Blick herein, lief durch die Regale, und fragte im Vorbeigehen: “Wo ist das CD-Rom für S.?” “Wo ist das Notebook für P.?” Dann begann eine der hektischen Suchaktionen, die erst dann endeten, wenn T. das betreffende Teil in der Hand hielt, und entweder damit zur Tür hinaus verschwand, oder es mir auf den Tisch legte und sagte: “Sofort einbauen.” Manchmal riefen mich auch Leute aus weit entfernten Teilen des Standorts an, und machten mir unmissverständlich klar, dass der Rechner jetzt innerhalb der nächsten halben Stunde auf ihrem Schreibtisch zu landen habe, sonst gebe es was. Vor Weihnachten 1996 kamen ein paar verblödete Abteilungsleiter an, und wollten die ihnen zustehenden Firmenlaptops mit nachhause nehmen, quasi als ein Zusatz-Weihnachtsgeschenk, und wir ächzten, weil wir genau wussten, dass die Blödmänner daheim nichts anderes damit anfangen würden, als die Software-Konfiguration zu versauen, was wir dann wieder bereinigen mussten. Und so kam es natürlich auch. Sie versauten die Softwarekonfiguration, und wir durften es wieder in Ordnung bringen.
    Die Firma wurde nach einem firmeninternen Geschäftskodex geführt. Dieser Geschäftskodex war als ein Buch niedergelegt, das leitende Angestellte der Firma zu lesen und zu beachten hatten. Leider habe ich mir dieses Buch nie besorgt, aber ich stelle es mir als eine Bibel der hysterischen Superkonkurrenz vor, als eine Art Religionsersatz für den sinndürstenden Angestellten, der eine klare Philosophie für die zweihundertprozentige Planerfüllung braucht. Möglicherweise war auch T. von der Bibel beflügelt, als er einmal uns drei Lagerverwalter zu sich berief. An diesem Tag waren wir alle drei zugegen, weil wir einen neuen Dienstplan für das nächste halbe Jahr ausbaldowern mussten. T. hielt uns einer Rede. Wir lauschten unserem Vorgesetzten schweigend, bis zum Abschluss seiner Rede, die darin gipfelte, D. als guten, und P. und mich als schlechte Arbeiter zu bezeichnen. Wortwörtlich. Danach wurden wir zurück ins Lager geschickt. Ich will das peinlich betretene Schweigen, in dem wir drei uns mit unseren jeweiligen Qualifizierungen auseinandersetzten, nicht so schnell vergessen, und war da nicht auch ein wenig Stolz und Schadenfreude bei D., ihm, dem einzigen Neger auf der Plantage, der vom Massa gelobt worden war? - Unvergesslich auch eine andere Rede, nämlich die des großen Bruders schlechthin, des Aufsichtsratsvorsitzenden oder CEO, die aus den USA per Satellit zu allen Standorten der Firma weltweit übertragen wurde, und mich in Gestalt einer blechernen Lautsprechertüte auch im Außenlager erreichte. Die Rede des CEO wurde nicht aus dem Englischen übersetzt, aber selbst Angestellte, die wenig oder kein Englisch sprachen, müssen verstanden haben, dass sie getadelt wurden. Die Betriebsziele für dieses Jahr seien deutlich nicht erreicht worden, und alle müssten sich zusammenreißen, um das Blatt zu wenden. Er habe Vertrauen in unsere Fähigkeiten die Produktivität zu steigern, sagte der Lautsprecher, und seitens der Firma seien schon einschneidende Maßnahmen geplant, die dem Umsatz mehr Schwung verleihen würden. Wir müssten uns nur

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