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Kaltstart

Titel: Kaltstart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Ich verlasse mich auf ihn. Etwa ein Jahr nach der großen Schlacht kommt der Tag der Wahrheit. Ohne jede Vorwarnung stellt der Scanner den Betrieb ein. Ich halte das zunächst nur für einen der dummen Scherze von Windows 98, aber ich kann machen, was ich will, es läuft nichts mehr. Ich rufe nicht beim Kundenservice an. Die Garantie ist lange erloschen, und die schrecklichen Erlebnisse vom Jahr vorher stecken mir noch so tief in den Knochen, dass ich an Semtex denke, wenn ich mir die Pausenmelodie der Service-Warteschleife nur vorstelle. Ich gehe einen anderen Weg. Ich gehe den Weg des Besiegten. Da der Scanner auch eine parallele Schnittstelle hat, an der parallelen Schnittstelle meines Rechners aber schon ein Umschalter mit zwei Druckern hängt, muss eine zweite parallele Schnittstelle her. Zufälligerweise besitze ich noch eine, und baue sie ein. Wird erkannt, wird bedient, funzt wie neu. Ich schließe den Scanner an und habe das Fenster schon geöffnet, um ihn hinauszuwerfen, falls er nicht funktioniert. Er entgeht seiner Hinrichtung, indem er langsam, mit seltsamen Geräuschen, und ein bisschen ruckelnd das Testbild abscannt, das ich ihm zur Aufgabe gemacht habe. Der Scanvorgang und der Bildaufbau dauern etwa dreimal so lang wie an der USB-Schnittstelle (so lange sie funktionierte), aber das ficht mich nicht an, der Scanner scannt. Das ist alles, was ich will. Und ich werde nie mehr einen Scanner kaufen, bevor ich mich nicht genau über ihn kundig gemacht, von Freunden Testberichte und aus dem Internet alles über das Gerät herbeigezogen habe, was es dort zu erfahren gibt. Bis zum nächsten Mal.
    Dieses Martyrium mit dem Scanner war kein Ausnahmefall. Ich hatte ähnliche Erlebnisse mit CD-Brennern, ZIP-Laufwerken, Joysticks, Druckern, Soundkarten, und vielen anderen Gerätschaften mehr, von der Software ganz zu schweigen. Erfahrungen wie diese beschränkten sich nicht auf eine bestimmte Marke, ein bestimmtes Herkunftslandland, oder eine bestimmte Handelskette, von der ich sie bezog. Wie kommt es eigentlich, dass Millionen Menschen auf diese Weise ihre Zeit vergeuden? Wer ist dafür verantwortlich? Ich weiß es nicht genau, aber ein paar Erklärungsversuche kann ich schon anbieten.
    Der Kapitalismus mag keine praktischen Dinge, die wirklich zuverlässig und dauerhaft funktionieren. Ein funktionierender, in allen Teilen gut mit sich selbst und seiner Umgebung abgestimmter Computer wäre für die Computerindustrie dasselbe wie die technisch durchaus machbare ewige Glühbirne für die Elektroindustrie. Jetzt ist ein Computer etwas anderes als eine Glühbirne, Komplexität bringt nun einmal Fehlerpotentiale, und Computer sind nun einmal die komplexesten Maschinen ever. Aber ein Monstrum wie die USB-Technologie, die nur in Ausnahmefällen klaglos funktioniert, müsste nicht sein.
    Warum aber existiert sie dennoch, zusammen mit einem Service, der in der Regel jeder Beschreibung spottet? Warum kommen Firmen damit durch, autistisches und minderwertiges Computerequipment für teures Geld zu verkaufen, und das Bild obendrein mit einem magersüchtigen Service abzurunden, der die Telefongebühren nicht wert ist, die man auf ihn verwendet? Weil die IT-Ökonomie eine Suchtökonomie ist. Haben Sie schon einmal ein Tütchen Heroin mit einem Beipackzettel gesehen? Die Computerindustrie vertraut darauf, dass ihr jeder Scheiß zu beinahe jedem Preis abgekauft wird, und die traumhaften Verdienste, die sie dadurch erwirtschaftet, möchte sie nur ungern durch übertriebene Serviceleistungen an die Kundschaft und gesteigerte Qualitätskontrolle wieder gefährden.
    Rauschgift ist die ideale Ware: Es ist schnell herzustellen, leicht zu transportieren, und kann zu buchstäblich jedem Preis an eine Kundschaft verteilt werden, deren Nachfrage nie versiegt. Computer sind, so wie sie sind, eine fast ideale Ware. Sie herzustellen, zu lagern und zu transportieren erfordert ungleich höhere Investitionen als bei Rauschgiften, aber die kopflose gesellschaftliche Modernisierungshysterie, der wahnhafte Konkurrenzdruck bis in die Kinderzimmer, der Wunsch jederzeit dabei und am liebsten immer besser zu sein, erzeugen ein Klima, in dem alles verkäuflich ist, wenn es nur neu ist. Dabei ist nicht interessant, dass der eine oder andere Händler oder Hersteller einmal alle Viere von sich streckt, denn das sind genauso normale Prozesse der Kapitalkonzentration und Konkurrenz wie die Vernichtung der einen Drogenhändlerbande durch eine andere. Wichtig

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