Kalymnos – Insel deines Schicksals
schien das Ganze jedoch auf die leichte Schulter zu nehmen. „Und er hat wirklich damit gedroht, einen Eklat zu provozieren? Was fällt dem Kerl eigentlich ein?
Na ja, die Südländer sind nun mal Hitzköpfe."
„Unter einem Hitzkopf stelle ich mir etwas anderes vor", widersprach Julie, weil sie sich über die Reaktion ihres Cousins ärgerte. „Schließlich wartet er seit zehn Jahren auf irgendeine Art von Wiedergutmachung für das, was du ihm angetan hast."
Sie bemerkte, wie sehr Alastair über ihre Worte erschrak. Nie zuvor hatte sie gewagt, ihn zu kritisieren. Aber bislang hatte er ihr auch noch nie einen Anlass dazu gegeben. Bis zu diesem Moment war er wie ein großer Bruder für sie gewesen, zu dem sie aufsehen konnte und den sie für sein gutes Aussehen, seinen Humor und seine Ehrlichkeit bewundert hatte.
„Ich habe beschlossen, die Polizei einzuschalten", teilte Sir Edwin seinem Sohn mit, um das Gespräch in andere Bahnen zu lenken. „Schließlich können wir uns nicht erpressen lassen. Und du, Julie", ermahnte er seine Nichte, „solltest nicht vergessen, wer wir sind. Es tut mir Leid, dass du auf diesem Wege von der ganzen Angelegenheit erfahren musstest, aber du solltest versuchen, es so schnell wie möglich wieder zu vergessen."
„Dad hat Recht", mischte Alastair sich ein und nahm sich noch ein Stück Fleisch.
„Was bildet sich der Kerl eigentlich ein? Wenn ihr mich fragt, gehört er hinter Schloss und Riegel!"
„Aber du hast ihm seine Frau weggenommen!" Erbost legte Julie ihr Besteck beiseite.
Die arrogante Haltung ihres Cousins hatte ihr den Appetit restlos verdorben. „Was bist du bloß für ein Mensch? Erst nutzt du die Unerfahrenheit eines jungen Mädchens aus und dann, wenn sie ihre Unschuld und Ehre verloren hat, weigerst du dich, sie zu heiraten!"
„Sie heiraten?" Alastair verschluckte sich vor Schreck fast. „Spinnst du jetzt völlig?
Ich, ein Veitrovers, soll ein griechisches Bauernmädchen heiraten? Du wärst doch die Erste gewesen, die gegen eine solche nicht standesgemäße Ehe protestiert hätte!"
„Unter den gegebenen Umständen hätte ich es sogar von dir verlangt." Julie drohte die Stimme zu versagen. Sie war kreidebleich geworden, und ihre Hände zitterten.
Sir Edwin sah sie genauso ungläubig an wie Alastair. „Was ist bloß in dich gefahren, Julie? Du weißt ganz genau, dass Alastair diese Frau unmöglich hätte heiraten können."
„Und warum? Steht es um den Familienbesitz wirklich so schlecht?" Noch nie hatte sich Julie ihrem Onkel gegenüber derart respektlos verhalten. Aber auch wenn sie sich ihrer gesellschaftlichen Position durchaus bewusst war und mitunter hochmütig und dünkelhaft wirkte, war sie im Grunde eine sanftmütige junge Frau, die sich ihr Gespür für Gerechtigkeit erhalten hatte. Und sie empfand nun einmal große Sympathie mit dem Mädchen und mehr noch mit Doneus. Als wäre er durch den Tod seiner Verlobten nicht gestraft genug gewesen, hatte er sich nach seiner Rückkehr bestimmt den Spott seiner Freunde gefallen lassen müssen, weil sie zuvor mit einem anderen Mann durchgebrannt war.
„Wie kannst du es wagen, in diesem Ton mit mir zu reden?" sagte ihr Onkel empört.
„Ich wüsste wirklich gern, was dagegen gesprochen hat, dass Alastair das Mädchen heiratet", erwiderte Julie trotzig.
„Das habe ich dir doch bereits gesagt", antwortete Alastair verärgert.
Unwillkürlich musste Julie an Lavinia denken, die ihren Verlobten fast abgöttisch liebte und sicherlich nichts von seinem Vorleben wusste. „Gib doch zu, dass du es nie auch nur in Erwägung gezogen hast!" erwiderte sie aufgebracht.
„Natürlich nicht", gestand ihr Cousin freimütig.
„Als Erstes werde ich morgen früh zur Polizei gehen", riss Sir Edwin das Gespräch wieder an sich. „Auch wenn es absurd ist, dass der Kerl die Angelegenheit selbst nach zehn Jahren nicht auf sich beruhen lassen will. So ein starrsinniger Mensch ist mir in meinem ganzen Leben nicht untergekommen." Er zuckte die Schultern. „Aber was kann man von einem heißblütigen Südländer schon anderes erwarten?"
„Das, was man von jedem Menschen erwarten kann: dass er seine Gefühle ernst nimmt." Je schlechter die anderen Doneus machten, umso neugieriger war Julie darauf, zu erfahren, was für ein Mensch er wirklich war. Er musste jetzt knapp dreißig Jahre alt sein, und so unwahrscheinlich es klang, schien seine Wut auf Alastair in all den Jahren nicht nachgelassen zu haben, so dass er nur um der
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